Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
sein. Außerdem werden gesetztere Damen bevorzugt. Wegen der Gefährdung der älteren Söhne und natürlich der Hausherren», fügte sie auf Emmas ungläubigen Blick hinzu. «Jedenfalls sind Anstellungen in halbwegs manierlichen Familien, egal in welchen Weltgegenden, kaum mehr zu finden. Falls ihr euch nun fragt, woher ich so gut Bescheid weiß – ich habe mich im vergangenen Jahr mal erkundigt. Ich hätte die allerbesten Chancen gehabt.»
«Englische Familien schicken übrig gebliebene Kandidatinnen auf Gattenfang nach Indien», erklärte Emma. «Mit unseren Kolonien ist es nicht weit her, wirklich bedauerlich. Aber du könntest deinen Pastor von St. Gertrud fragen, Claire, er hat sicher Verbindung zu Missionaren im afrikanischen Urwald. Europäer sterben in den Gegenden wie die Fliegen, heißt es, gesunde junge Frauen finden dort immer einen braven gottgefälligen Ehemann. In einer Missionsstation zu wirken, ist eine dankbare Lebensaufgabe. Ein echtes Abenteuer nebenbei. Nicht immer nur Teegesellschaften, Tennis und Travemünde im Sommer.»
«Emma! Was für eine absurde Idee!»
«Findest du, Mama? Es muss nicht unbedingt ein Missionar sein, zugegeben, das ist nicht nach jedermanns Geschmack. Ich weiß gar nicht, ob unsere Cousine fromm genug ist, obwohl sie mir ganz so aussieht. Wie wäre es mit einem Arzt? Es gibt eine Menge europäischer Doktoren dort, die brauchen auch Ehefrauen.»
«Aber nicht unsere Hetty. Auf keinen Fall», widersprach Claire heftig. «Die haben meistens einen Grund, warum sie in so gottverlassene Länder verschwinden. Viele sind schwere Alkoholiker. Oder Morphinisten. Oder beides. Afrika ist eine dumme Idee, Emma, Hetty bleibt hier. Sie hat nur noch uns. Oder nicht?»
Keine wusste eine verlässliche Antwort. Alle stellten fest, dass sie wenig von Hettys Leben wussten.
«Marline», sagte Lydia endlich. «Marline Siddons war eine enge Freundin ihrer Mutter. Mrs. Siddons ist mit ihrem Mann nach Bristol gezogen … nein, mir fällt gerade ein, dass sie inzwischen in Konstantinopel leben.»
«Konstantinopel», seufzte Emma. «Warum hast du das nicht gleich gesagt. Das ist doch wunderbar. Ich biete mich als Begleiterin an, nein, ich dränge mich auf! Hetty darf keinesfalls allein reisen, das wäre höchst unschicklich, geradezu ein Skandal. Damit wären ihre Heiratschancen dann endgültig perdu .»
«Valentin wird hocherfreut sein», sagte Claire mit ungewohnter Schärfe. «Seine liebende Braut geht ohne ihn auf eine monatelange Reise in den Orient, anstatt die Hochzeit vorzubereiten. Im Übrigen verhandeln wir Hetty gerade wie einen alten Gaul, der das Gnadenbrot bekommen soll. Das ist anmaßend. Zuerst ist sie hier bei uns, in diesem Haus, in Sicherheit. Sie braucht doch Zeit, zu begreifen, was in den letzten Wochen geschehen ist, was es wirklich bedeutet. Dann können wir immer noch fragen, ob sie unsere Vorschläge und Hilfe wünscht.»
«Amen», murmelte Emma, was zu ihrem Glück keine der anderen hörte. Lydia nickte nur, bekümmert und auch beschämt, obwohl sie kaum zugehört hatte. Sie war mit ihren Gedanken weit in die Vergangenheit gelangt und dem alten Schmerz begegnet.
Emma hatte ihre Meinung in bewährter Manier blitzschnell geändert. «Du hast schon wieder völlig recht, Claire, obwohl ich das mit dem Gaul und dem Gnadenbrot übertrieben finde. Ich hatte schon an die Mädchengewerbeschule gedacht. Es soll zwar ein bisschen langweilig sein, Unterricht auf altmodische Art und niedrigem Niveau, aber doch solide. Hanseatisch, möchte man sagen. Danach kann man sich zum Beispiel als Zeichenlehrerin verdingen und vom eigenen Einkommen leben. Das ist sehr begehrt.»
«Danke, Emma, den Vorschlag könnte ich bedenken.»
Alle drei fuhren herum, Henrietta stand in der Terrassentür, blass, die Augen dunkel, das Haar vom Wind auf dem Dampfboot zerzauster als üblich.
«Hetty hat gelauscht.» Emma klang kein bisschen ertappt oder beschämt. «Wie reizend. Haben wir dich amüsiert oder beleidigt? Das ist oft schwer auseinanderzuhalten.»
«Oh, Hetty, wir begannen schon, uns zu sorgen, da haben wir ein paar Überlegungen angestellt, nur ganz vage, was uns gerade so durch den Kopf ging. Es ist noch heißer Tee da, soll ich frischen kommen lassen?»
«Tee wäre jetzt wunderbar, Claire, er muss nicht frisch sein. Ich habe tatsächlich gelauscht. Das passiert leicht, wenn man sich gegen den Haupteingang und für die offene Terrassentür entscheidet und aus dem Salon den eigenen
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