Ein Garten mit Elbblick (German Edition)
privaten Zeichenlehrern einigen Unterricht gehabt hatte, wie es bei jungen Damen aus gutem Haus üblich war, zählte dazu. Dass eine kam, die nie einen Zeichenstift oder Aquarellpinsel in der Hand gehabt hatte, kam einfach nicht vor.
«Warum wollen Sie gerade jetzt Unterricht nehmen?», hatte Valeska Röver gefragt. «Ich sehe, Sie sind in Trauer. Sie wissen sicher, dass man das nicht überall gut heißen wird. Missverstehen Sie mich nicht, ich finde es eine sehr gute Idee. Falls Sie sich mit der Malerei ablenken wollen, sollten Sie allerdings darauf verzichten. Pinsel und Farbe, Kohlestift, egal, es wird Sie nicht von dem, was Sie bewegt, wegführen, nichts zudecken, ob gute oder schlechte Erinnerung, Schmerz oder Sehnsucht, sondern Sie näher heranführen. Aber ich sehe schon, Sie sind fest entschlossen. Wer hat Ihnen eigentlich meine Schule empfohlen? Eine Freundin?»
«Eine Freundin, ja, hier in Hamburg. Aber ich habe schon in England von Ihnen gehört. In Bristol, dort habe ich bis vor kurzem gelebt. Ein Mr. Haggelow hat Ihre Schule erwähnt. Kennen Sie ihn? War er vielleicht hier? James Haggelow? Aus Newcastle.»
«Newcastle?» Fräulein Rövers Blick wurde wachsam. «Newcastle, da war kürzlich etwas – lassen Sie mich nachdenken. Oh, Haggelow. War das der Name? Helfen Sie mir mal, ich habe den Ihren vorhin so flüchtig gehört, dass ich ihn gleich wieder vergessen musste. Der Vorname war Henrietta, nicht wahr? Und der Familienname?»
«Ich heiße Winfield, Henrietta Winfield.» Sie hörte selbst, wie ihre Stimme piepsig wurde. «Haben Sie diesen Namen auch schon gehört? Mein Mann heißt Thomas Winfield. War er einmal hier?»
Valeska Rövers Blick wurde ausdruckslos. Sie saß sehr aufrecht und starr.
«Ich lerne daraus», erklärte sie schließlich spitz, «dass ich immer richtig zuhören muss, wenn jemand seinen Namen nennt. Womöglich hätte ich Sie dann gar nicht hereingelassen, junge Dame. Haggelow und Winfield, interessant. Genau nach diesen Namen hat mich dieser Polizist schon gefragt. Allerdings hat er mir nicht erklärt, wieso er sich gerade bei mir nach diesen Herren erkundigt, von denen der eine, wenn ich nun zwei und zwei zusammenzähle, Ihr Gatte war, den Sie auf grausame Weise verloren haben. Mrs. Winfield also. Ich scheine die Einzige in der Stadt gewesen zu sein, die bis vor wenigen Tagen nichts davon wusste, ich meine von dem, was beim Meßbergbrunnen geschehen ist. Obwohl sonst jede Geschichte aus der Stadt durch meine Ateliers geistert. Ich kenne weder einen Mr. Haggelow, noch habe ich je von Ihrem Gatten gehört. Verraten Sie mir, was der Polizist mir verweigert hat: Was hat meine Schule, was habe ich mit Ihrem Gatten und diesem anderen Herrn zu tun?»
«Aber das ist es doch, was ich wissen möchte. In Thomas’ Sachen fand sich eine Karte Ihrer Schule.» Hetty erhob sich, es war ihr unmöglich, weiterzusprechen, wenn sie dabei direkt in ein Unwillen und Ärger zeigendes Gesicht sehen musste. «Ich weiß nicht, was er in Hamburg wollte. Ich weiß nichts, als dass er diese Karte hatte. Ich muss doch versuchen, etwas herauszufinden. Verstehen Sie das?»
«Das verstehe ich, auch wenn mir missfällt, dass Sie damit mehr meiner Zeit als nötig verschwenden. Konnten Sie nicht einfach direkt fragen? Ohne dieses Brimborium von ‹Kann ich hier Unterricht nehmen?›.»
«Das hatte ich vor, jedenfalls so ungefähr. Aber dann – ich möchte den Unterricht wirklich nehmen. Diese Bilder hier, die Farben … Bitte, weisen Sie mich nicht ab.»
Valeska Röver schob energisch ihren Stuhl zurück und erhob sich. «Nun fangen Sie bloß nicht an zu heulen», sagte sie so ruppig, wie sie zuvor weich auf den feuchten Schimmer in Hettys Augen reagiert hatte. «Dies ist ein seriöses Institut zur Ausbildung von Künstlerinnen, keine Trostakademie, kein Häkelclub. Hier wird gearbeitet. Und bevor Sie fragen: Nein, unter meinen Schülerinnen ist keine Engländerin. Nun gut, Mrs. Winfield , wir haben eine Vereinbarung, es spricht nichts dagegen, wenn Sie für einige Wochen Unterricht nehmen. Sie müssen ein paar Formulare ausfüllen. Wo wohnen Sie eigentlich? Sie erwähnten Ihre Familie.»
«Verwandte, ja, die Grootmanns. Sie haben mich aufgenommen. Aber ich werde in das Haus meines Vaters zurückkehren, schon sehr bald.» Ihr Blick streifte die Bilder an der Wand. Auch das Bild vom Strand der Elbe. «Vielleicht kannten Sie meinen Vater. Sophus Mommsen.»
«Mommsen? Doch, ich erinnere mich. Leider
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