Ein Gebet für die Verdammten
Fackeln standen bereit, und auch die übrigen Männer saßen auf. Miach ritt voran, zunächst quer über den Talgrund. Dann begann der Anstieg durch den Bergwald der Sleibhte na gCoillte. Sie folgten einem Sturzbach, der in den Bergen entsprang und sich in den Eatharlaí-Fluß ergoß. Der Pfad neben diesem wild schäumendenWasser zog sich zwischen Bäumen hinauf auf die kahlen Abhänge der Bergkette.
Schon setzte die Abenddämmerung ein. Dunkle Wolken hingen tief über den Gipfeln, die sich vor ihnen erhoben. Sie ließen die Pferde am Waldrand stehen und wanderten im Schein der Fackeln auf die baumlose Kuppe des An Starraicin zu. Der verbleibende Weg war nicht weit, aber von Felsbrocken übersät, und tückische Moorlöcher wollten achtsam umgangen werden. Oben umstanden mehrere Männer den aus langen Scheiten aufgeschichteten Holzstoß und hielten ebenfalls Fackeln hoch.
Der Anblick eines Scheiterhaufens war Eadulf vertraut. Es war die Art und Weise, in der die Angeln und Sachsen ihre gefallenen Kämpfer in die ewige Halle der Helden sandten, in der sie mit Wodan, Thor, Tiu und den anderen großen kriegerischen Göttern seines Volkes ein immerwährendes Festgelage feierten. Beklommen ermahnte er sich, daß das nicht mehr seine Götterwelt war.
Pecanum und Noavan umarmten ihren Bruder Berrihert und ließen sich kurz über den Tod ihres Vaters berichten. Ordwulfs Leichnam ruhte auf der obersten Schicht des Holzstoßes. Seine zweischneidige Streitaxt hatte man ihm auf die Brust gelegt, die leblosen Hände umschlossen den Schaft der Waffe.
Eadulf und Gormán reihten sich neben dem Stammesfürsten der Uí Cuileann in den Kreis ein. Pecanum und Noavan gingen zum Scheiterhaufen, hoben feierlich die Hände und entboten so der Sitte gemäß ihrem Vater den letzten Gruß. Sie traten zurück und stellten sich neben ihren Bruder.
Wie selbstverständlich übersetzte Eadulf Berriherts Worte für Miach und Gormán, als der in der Sprache der Angelsachsen zu reden begann.
»Wir sind nicht gekommen, um einen Heiden feierlich zu bestatten, sondern unseren Vater. Er war Ordwulf, Sohn von Frithuwolf dem Streitbaren. Er war ein edler Krieger seines Stammes. Er lebte und starb als ein Kämpfer, der an die Götter seiner Kindheit, an die Götter seines Volkes glaubte. Er ist in dieses Land gekommen, weil seine Söhne wollten, daß er mit ihnen ziehe. Er kam mit seiner Frau Aelgifu, unserer Mutter, der Tochter von Aelfric. Seine Söhne hatten sich ihrer Religion nach von ihm getrennt, doch durch die Blutsbande waren sie stets mit ihm vereint. Er blieb unser Vater. Er starb, als er die richten wollte, die seine Frau Aelgifu, unsere Mutter, erschlugen. Wir versprechen ihm eines, und das geloben wir heute nacht an seinem Flammengrab. Wir geloben, Vergeltung für unsere hingemordete Mutter zu erstreiten. Wir haben einen neuen Glauben angenommen, sind in ein neues Land gezogen und wollen die Gesetze und Bräuche dieses Landes achten. Obzwar uns diese Gesetze noch fremd sind, wollen wir sie befolgen und in ihrem Rahmen Gerechtigkeit suchen, die zu erlangen Ordwulf nicht vergönnt war. Wir geloben, diejenigen ihrer gerechten Strafe zuzuführen, die seine Frau, unsere Mutter, erschlugen. Das geloben wir.«
Pecanum und Noavan sprachen ihm nach: »Das geloben wir.«
Bruder Berrihert hob das Gesicht zu dem sich verdüsternden Himmel.
»Großer Gott, Allmächtiger, den die Menschen in vielerlei Gestalt und unter vielerlei Namen verehren. Unser Vater hat dich Wodan genannt. Wenn du der wirklich bist, dann nimm unseren Vater auf in deine ewige Walhalla, auf daß er dort wohnen möge mit den Helden, wie er sie kannte, und laß unsere Mutter Aelgifu dort so jung und schön sein wie damals,als er sie freite, und laß sie ihm Met bringen und Speise vorsetzen, wie es der Brauch will. Allmächtiger, bist du jedoch nicht Wodan, dann bist du der weit mächtigere Gott, an den wir glauben. Laß dein gestrenges Auge mild auf ihn blicken, denn du, Allwissender, weißt, daß unser Vater ein guter Mann war und daß er und Aelgifu es verdienen, ihrem Glauben nach für immer in einer Walhalla zu weilen, die du ihnen zuweist.«
Berrihert hielt inne, wandte sich um und nahm einen der Feuerbrände in die rechte Hand. Seine Brüder traten ihm zur Seite und ergriffen wie er den Schaft der riesigen Fackel. Sie blickten hoch zu den Wolken und brachen in einen lang gezogenen Ruf aus: »Allmächtiger!«
Über die Berge ertönte der erste Ruf eines einsamen Wolfes,
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