Ein Gebet für die Verdammten
alten Gesetzes und bringen unseren Menschen Gottes heilige Vorschriften wahrhaft nahe.«
Nervös schaute Eadulf Fidelma an, denn er wußte, wie strikt sie sich Recht und Gesetz gegenüber verpflichtet fühlte. Doch sie schwieg einige Augenblicke. Dann fragte sie: »Um eine Klarstellung würde ich noch bitten: Abt Augaire sprach mehrfach im Namen des Königs von Connacht bei Abt Ultán vor. Wann war er das letzte Mal bei ihm?«
»Vor etlichen Jahren. Und er war damals, wie ich schon sagte, einfach Bruder Augaire.«
»Und damit wuchs Gras über die Sache?«
»Zumindest, was uns und Cill Ria betrifft.«
»Ist dieser Streit der Grund für die Feindseligkeit, die gestern zwischen Abt Augaire und Abt Ultán zutage trat?«
»Wenn bei einem Streit gegensätzliche Positionen bezogen werden, kann man wohl kaum freundschaftliche Beziehungen zueinander erwarten. Abt Ultán glaubte, Augaire nutzte den Umstand, daß er den Tod des Mädchens bezeugen konnte, um sich bei Muirchertach und dessen Frau einzuschmeicheln. Nur so stieg er zu der Position des Abts in Conga auf. Abt Ultán hatte zwei Feinde hier – Augaire und Muirchertach.«
Fidelma erhob sich langsam. »Belassen wir es für heute dabei, Bruder Drón. Wahrscheinlich werde ich dich später noch einmal sehen wollen. Auch mit Schwester Marga und Schwester Sétach würde ich gern sprechen.«
»Was willst du von denen?« erkundigte er sich unwirsch.
»Was gibt dir das Recht, einer
dálaigh,
die eine Untersuchung führt, Fragen zu stellen?« wies sie ihn zurecht. »Es ist nicht das erste Mal, daß ich dich wegen deines Verhaltens rügen muß. Du bist in Cashel, und bei uns gelten nicht deine Kirchenbußregeln.«
Bruder Drón schluckte abermals, zögerte kurz und ging. Eine Weile schwiegen beide, bis Fidelma ihren Gefährten schmunzelnd ansah. »Du bist außergewöhnlich still, Eadulf.«
Er erwiderte ihr Lächeln und deutete mit dem Kopf zur Tür, die sich hinter Bruder Drón geschlossen hatte. »Was für ein eitler, engstirniger und voreingenommener Wicht. Ganz schön schwer, sich mit solchen Leuten zu unterhalten.«
»Du hast völlig recht. Aber wenigstens können wir uns langsam ein Bild von diesem kühnen Prälaten machen. Ich habe den Eindruck, Bruder Drón bestätigt mit seinen Äußerungen, daß Ultán ein Eiferer war und deshalb von anderen gehaßt wurde.«
»Mir will immer noch nicht in den Kopf, wie er es fertiggebracht hat, einem Brehon nicht Folge zu leisten. Es gehtdoch nicht an, daß die Pönitenzgesetze über das geltende Recht der fünf Königreiche gestellt werden!«
»Hast du vergessen, was dir in Laigin widerfuhr?« fragte Fidelma sacht.
Ein Schauder lief ihm über den Rücken, und er nickte.
»Immer häufiger erleben wir, daß Stammesfürsten und selbst Kleinkönige den Äbten nachgeben, die eigenmächtig ein fremdes Rechtssystem übernehmen, das aus dem Schutthaufen quillt, der vom römischen Imperium geblieben ist. Die Strafen sind hart und streng, und körperliche Züchtigung ist nicht selten. Ich fürchte, so etwas in der Art geht gegenwärtig in den Königreichen im Norden der Insel vor sich. Irgendwann muß ich mit Blathmac von Ulaidh darüber sprechen.«
Sie verstummte und trommelte nervös mit den Fingern auf der Armlehne.
»Und was jetzt?« fragte Eadulf.
»Jetzt? Ich denke, es wird Zeit für ein Gespräch mit Abt Augaire. Er scheint eine zentrale Figur in dem Streit zwischen Muirchertach und Ultán zu sein.«
Sie strebte der Tür zu, und Eadulf fragte verwundert: »Willst du ihn nicht rufen lassen?«
Sie drehte sich zu ihm um. »Er ist ein Abt, und als solcher gebührt ihm eine würdevollere Behandlung als Bruder Drón.«
KAPITEL 8
Beim Verlassen der Bibliothek wurden sie auf dem Gang von einem ernst dreinschauenden jungen Mann angehalten. Er war mittelgroß, sein sandfarbenes Haar war sorgsam gebürstet, und seiner Kleidung nach schien er wohlhabend. SeineGesichtszüge waren eigentlich nicht unangenehm, und doch waren sie von einem Ausdruck geprägt, der Fidelma unwillkürlich an Wörter wie »eingebildet« oder »von sich eingenommen« denken ließ.
»Ich vermute, du bist Schwester Fidelma?« erkundigte er sich in einem Ton, als wollte er sie einem Verhör unterziehen.
Mit einem ernsten Lächeln blieb sie stehen. »Ich bin Fidelma von Cashel«, erwiderte sie ruhig und erinnerte ihn damit an ihren weltlichen Rang. Dieses Titels bediente sie sich nur, wenn sich jemand ihr gegenüber überheblich benahm. »Und das ist Eadulf
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