Ein Gebet für die Verdammten
einer, der die strengen Regeln aus Rom befürwortet.«
»Ich will euch die Geschichte erzählen«, fuhr Fergus Fanat fort. »In seiner Jugend hieß er Uallgarg, der Stolze und Unbändige. Beides traf auf ihn zu. Er scherte sich den Teufel um andere und mißachtete jede Obrigkeit. Die königliche Leibwache nahm ihn mehrfach gefangen und brachte ihn vor die Richter zur Verurteilung. Nie hat er ihr Urteil anerkannt und trieb es immer weiter so. Dann machte er sich an ein schönes junges Mädchen ran, an dem er sich verging. Er brachte Schande über sie, denn sie wurde schwanger, und er ließ sie sitzen.«
»Du erzählst die Geschichte, wie du sie von deinem Vater gehört hast«, erinnerte ihn Fidelma. »Vor Gericht ist das unzulässig. Wie willst du wissen, daß sie wahr ist?«
Traurig sah Fergus Fanat sie an.
»Das Mädchen war meine Tante«, sagte er leise. »Ihr Kind war eine Totgeburt, und davon hat sie sich nie wieder erholt. Sie verlor den Verstand und lebte in einer eigenen Welt. Ich kann mich gut an sie erinnern, ich war fünfzehn Sommer alt. Sie hatte nie mehr ihre fünf Sinne beisammen und starb viel zu früh.« Er machte eine Pause. »Um ehrlich zu sein, mir entfuhr ein Freudenschrei, als ich hörte, daß man Ultán ermordet hatte. Ich bedauere nur, daß nicht ich es getan habe.«
KAPITEL 10
Die verhaltene Heftigkeit im Tonfall des jungen Mannes machte Fidelma und Eadulf betroffen, und beide verlangsamten ihre Schritte, ehe sie wieder mit seinem Tempo mithielten.
»Ich hätte gern gewußt, wo du dich vergangene Nacht zu dem Zeitpunkt aufgehalten hast, als Ultán ermordet wurde«, erklärte Fidelma in aller Ruhe.
Fergus Fanat nahm die Frage nicht übel, im Gegenteil, er lachte rauh auf.
»Im nachhinein tut es mir fast leid, daß ich nicht im Bett war, denn, wie ich höre, wurde Ultán um Mitternacht herum umgebracht. Ich gestehe freimütig, daß ich mit ein paar Freunden, die in der Fianna des Hochkönigs Dienst tun, getrunken habe.«
Die Fianna galt als der Elitetrupp aus der Leibwache des Hochkönigs ähnlich der Nasc Niadh mit ihren Elitekriegern bei den Königen von Cashel. Jeder König der fünf Königreiche hatte seine Schutzgarde.
»Und deine Kameraden können das bezeugen?«
»Falls sie nüchtern genug waren, sich daran zu erinnern.«Er grinste vergnügt. »Ich persönlich habe es kaum bis zu meinem Bett geschafft.«
»Eine Sache begreife ich nicht«, nahm Eadulf das Wort. »Wie konnte aus diesem Mann – du nennst ihn Uallgarg – besagter Ultán werden, der fromme Abt und Bischof, dem der Nachfolger des heiligen Patrick in Ard Macha volles Vertrauen schenkte? Bruder Drón verfällt bei seiner Namensnennung in einen einzigen Lobgesang und preist ihn als großen Kirchenreformer.«
»Die Erklärung ist leicht gegeben, mein Freund«, erwiderte Fergus Fanat. »Ich habe ja schon gesagt, Uallgarg war ein gottloser und ausschweifender Mensch, der sich viele Feinde machte. Fortgesetzt stellte er die Geduld der Richter auf eine harte Probe, und schließlich trieb er sie zum Äußersten. Sie kamen zu dem Schluß, daß er ein unverbesserlicher Missetäter war und daß nichts weiter übrigblieb, als ihn dem offenen Meer zu überantworten.«
Fidelma lief ein Schauder über den Rücken. »Dem
cinadó muir
?« flüsterte sie erschrocken.
»Was bedeutet dieser Urteilsspruch des Meeres?« fragte Eadulf, der den Begriff zum ersten Mal hörte.
»In extremen Fällen, wenn der Täter wiederholt Verbrechen begangen hat, die zum Beispiel zum Tod des Opfers führten, wird er nach einem ordentlichen Prozeß in ein Boot gesetzt und mit Essen und Trinken für einen Tag versorgt. Man schleppt das Boot auf offene See außer Sichtweite des Landes und überläßt es Wind und Wellen … Mit anderen Worten, dem Urteil des Meeres oder, wie es die Gläubigen sagen, dem Urteil Gottes.«
Fergus Fanat nickte bestätigend. »Genauso geschah es. Uallgarg wurde aufs offene Meer geschleppt und seinem Schicksal überlassen.«
»Und er überlebte?« Im Grunde genommen erübrigte sich die Antwort auf Eadulfs Frage.
»Drei Tage später wurde sein Boot ans Ufer geworfen, gar nicht weit von der Stelle, wo man es ins Wasser gesetzt hatte. Ja, er lebte.«
»Er hätte doch aber von denen getötet werden können, die ihn fanden?« wunderte sich Eadulf.
Fidelma schüttelte den Kopf. »Es gibt zwei Möglichkeiten, die in einem Fall wie seinem in Frage kommen. Da Gott sein Urteil gesprochen hatte, hätten die Angehörigen des Täters
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