Ein Gebet für die Verdammten
nach ihrem Vetter Finguine zu den Haupttoren der Burg zurückgegangen. Sie überquerte den Hof zu den Ställen und fand ihn dort.
»Weißt du, wer außer den Adligen heute früh mit auf die Jagd gezogen ist?« fragte sie ihn ohne jede Überleitung.
»Praktisch jeder, der etwas darstellt«, gab er zur Antwort und fügte grinsend hinzu: »Mit Ausnahme meiner Person.«
Fidelma war wenig zum Spaßen aufgelegt. »Mir geht es um Bruder Berrihert.«
Finguine dachte einen Moment nach und schüttelte dann den Kopf. »Außer Eadulf waren von den Glaubensbrüdern und -schwestern nur Abt Augaire, Schwester Marga und Bruder Drón dabei.«
»Bruder Drón?« wunderte sich Fidelma. »Der ist mit auf die Jagd gegangen?«
»Bruder Drón«, bestätigte Finguine, »dieser unangenehme Mensch, der mit Abt Ultán angereist ist.«
»Ich weiß, wer Bruder Drón ist«, sagte sie gereizt. »Sind er und Schwester Marga zusammen losgeritten?«
»Nein. Wie ich vorhin schon sagte, ist Schwester Marga mit den Damen geritten. Bruder Drón folgte ihnen erst etwas später … Ich hatte auch nicht den Eindruck, daß er von vornherein mit auf die Jagd wollte.«
»Wie kommst du darauf?«
»Er kam mit seinem Pferd in ziemlicher Hast ans Tor und fragte einen der Krieger nach irgendeinem Ort und wie lange er dorthin brauchen würde. Der Wachposten hat es mir hinterher erzählt, aber mir ist entfallen, wo es war, irgendwo Richtung Süden jedenfalls. Er studierte immerzu ein Papier, das er in der Hand hatte. Er stieg schon auf sein Pferd, als das andere Mädchen, das zu Ultáns Gefolge gehörte, angerannt kam. Sie sagte was und zeigte nach Osten, wohin die Jagdgesellschaft geritten war. Wie mir berichtet wurde, reagierte Bruder Drón äußerst verärgert, spornte sein Pferd an und ritt im Galopp hinterher. Für einen frommen Bruder wenig schicklich«, bemerkte ihr Vetter noch.
An den Toren rief plötzlich ein Wachposten jemanden an, und gleich darauf kam ein einsamer Reiter in den Hof. Fidelma erkannte in ihm Dúnchad Muirisci, den rechtmäßigen Nachfolger von Muirchertach, König von Connacht.
Finguine winkte einen Stallburschen heran, und der half dem
tánaiste
vom Pferd. Ohne Hast ging Fidelma auf ihn zu.
»Du bist zeitig von der Jagd zurück, Dúnchad Muirisci.«
Mißmutig schaute sie der Adlige an. Nichts von der fröhlichen Laune war geblieben, die er bei ihrem Gespräch tags zuvor gezeigt hatte.
»Wie scharfsinnig«, bemerkte er sarkastisch und griff automatisch mit der linken Hand zur rechten, um sie zu stützen. Sie blutete.
»Oh, du bist verletzt.«
Ärgerlich verzog er das Gesicht. »Nur ein Kratzer, nichts weiter.«
»Ein Kratzer blutet nicht so stark. Das sollte sich lieber jemand ansehen. Die Apotheke ist gleich hinter dem Gebäude dort. Bruder Conchobhar ist unser bester Heilkundiger.«
Dúnchad Muirisci brummelte etwas vor sich hin und machte sich auf den Weg.
Sie holte ihn ein. »Was ist geschehen?« fragte sie.
»Ein dummer Unfall. Ein Keiler ging auf mein Pferd los, und es scheute zur Seite. Es landete in einem Dornenbusch, ich wollte mich mit der Hand schützen und bekam lauter Kratzer. Das ist alles.«
»Und dann bist du blutend und allein zurückgeritten?«
»Es war niemand weiter da. Ich war allein, und das Vieh tauchte aus dem Nichts auf.«
»Da hast du aber Glück gehabt, daß nichts Ernsteres passiert ist, Dúnchad Muirisci. Hast du eine Ahnung, wie es dem Rest der Jagdgesellschaft geht?«
Der
tánaiste
schüttelte den Kopf. »Ich hab dir doch gesagt, daß ich allein war. Schon gleich, als das Gejohle und Geschrei losging, hab ich den Haupttrupp verloren.«
Finguine kam ihnen nachgelaufen. »Wir können deinen
bir
nicht finden, Dúnchad Muirisci.«
»Der ist mir entglitten, als mich die Dornen erwischten. Es schmerzte dermaßen, daß ich ihn dann nicht mehr aufgehoben habe. Er liegt bestimmt noch da.«
»Außerdem hat mir der Stalljunge gesagt, daß das eine Hufeisen bei deinem Pferd offensichtlich mangelhaft gegossen war und gebrochen ist. Er wird es zu unserem Schmied bringen und ein neues anfertigen lassen.«
Im ersten Moment schien Dúnchad Muirisci das Angebotablehnen zu wollen, erklärte sich dann aber doch einverstanden. »Vielen Dank.«
Er drehte sich um und strebte der Apotheke zu. Fidelma und Finguine ließen ihn ziehen.
»Der ist sich selbst nicht gut«, stellte Fidelma fest.
»Hat ja auch allen Grund. Der mutmaßliche Erbe von Connacht ist auf Jagd, landet in einem Dornenbusch, läßt sich
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