Ein gefährlicher Gegner
überfüllt. Ebury war ein verödeter Bahnhof, auf dem nur ein einsamer Gepäckträger wartete. An ihn wandte sich Tommy: «Können Sie mir sagen, wie ich zum Moat House komme?»
«Ein hübsches Stück Weg bis dahin. Sie meinen doch das große Haus am Strand?»
Tommy nickte. «Erinnern Sie sich an eine junge Dame, die mit einem früheren Zug hier eingetroffen ist, zwölf Uhr fünfzig aus London? Wahrscheinlich hat sie auch nach dem Weg zum Moat House gefragt.»
Er beschrieb Tuppence, aber der Träger schüttelte den Kopf.
Tommy fühlte sich völlig niedergeschlagen. Er war überzeugt, dass ihr Unternehmen erfolglos bleiben würde. Der Feind hatte einen Vorsprung von mehr als drei Stunden.
Der Weg, den der Gepäckträger beschrieben hatte, schien kein Ende zu nehmen. Einmal schlugen sie sogar die verkehrte Richtung ein. Es war schon sieben Uhr vorbei, als ein kleiner Junge ihnen sagte, Moat House befände sich gleich um die nächste Ecke.
Ein rostiges Eisentor, das sich knarrend in seinen Angeln drehte; eine von Unkraut überwachsene Anfahrt. Nach einer Biegung sahen sie das Haus. Es wirkte öde und unbewohnt. Die Läden waren geschlossen, die Stufen mit Moos überwachsen.
Hersheimer zog am rostigen Klingelknauf. Ein misstönendes Läuten erklang und hallte in der Weite des Hauses wider. Aber niemand kam. Sie gingen um das Haus herum. Stille überall. Der Ort wirkte völlig verlassen.
«Nichts zu machen», erklärte Hersheimer.
Langsam kehrten sie zum Tor zurück.
«Hier muss doch ein Dorf in der Nähe sein», fuhr der junge Amerikaner fort. «Wir sollten uns dort einmal erkundigen.»
«Ja, kein schlechter Gedanke.»
Sie kamen bald zu dem kleinen Dorf. Am Ortsrand trafen sie einen Arbeiter, der einen Sack trug; Tommy fragte ihn.
«Moat House? Es steht leer. Seit Jahren schon. Mrs Sweeney hat den Schlüssel, wenn Sie es besichtigen wollen – sie wohnt gleich neben der Post.»
Tommy bedankte sich. Bald hatten sie das Postamt gefunden, zu dem auch ein Schokoladengeschäft gehörte. Sie klopften an die Tür. Eine saubere, dralle Frau öffnete ihnen. Sie brachte sogleich den Schlüssel.
«Ich bezweifle allerdings, dass Ihnen das Haus gefallen wird, Sir. Es ist äußerst baufällig. Es regnet durchs Dach. Man bräuchte viel Geld, um es in Ordnung zu bringen.»
«Danke», erwiderte Tommy zuversichtlich. «Aber Häuser sind heute schwer zu kriegen.»
«Das kann man wohl sagen», stimmte die Frau ihm zu. «Entschuldigen Sie, Sir, es wird zu dunkel, um viel vom Haus zu sehen. Wollen Sie nicht lieber bis morgen warten?»
«Wir sehen es uns heute Abend auf jeden Fall ein wenig an. Wir wären schon früher hier gewesen, hatten uns aber verlaufen. Wo kann man denn übernachten?»
Mrs Sweeney sah ein wenig unsicher aus. «Yorkshire Arms – aber das ist für Sie wohl nicht besonders geeignet.»
«Es wird genügen. Es ist nicht etwa eine junge Dame bei Ihnen gewesen und hat nach dem Schlüssel gefragt?»
Die Frau verneinte.
Sie kehrten zum Moat House zurück. Als die Eingangstür in ihren Angeln knarrend nach innen aufging, zündete Hersheimer ein Streichholz an und betrachtete aufmerksam den Fußboden. Dann schüttelte er den Kopf. «Ich möchte wetten, dass auf diesem Weg niemand hereingekommen ist. Sehen Sie mal den Staub an. Nicht eine Fußspur.»
Sie wanderten durch das verödete Haus. Überall das Gleiche. Dicke Staubschichten, die schon seit langem dort lagen.
«Merkwürdig», sagte Hersheimer. «Ich glaube nicht, dass Tuppence jemals in diesem Haus war.»
«Wir sehen es uns morgen noch einmal an», erklärte Tommy. «Vielleicht bemerken wir bei Tageslicht mehr.»
Am nächsten Tag nahmen sie die Suche wieder auf, mussten jedoch erneut feststellen, dass das Haus offensichtlich seit langem nicht mehr betreten worden war. Als sie zum Gartentor zurückkehrten, stieß Tommy einen Schrei aus, beugte sich nieder und hob etwas auf, das zwischen den Blättern gelegen hatte. Es war eine kleine goldene Brosche.
«Die gehört Tuppence!»
«Bestimmt?»
«Aber ja! Ich habe sie oft an Tuppence gesehen.»
«Ich glaube, das wäre klar. Bis hierher ist sie in jedem Fall gekommen. Wir machen das Gasthaus zu unserem Hauptquartier, irgendjemand muss sie doch gesehen haben.»
Fast jeden Tag nahmen sie eine neue Spur auf. Hersheimer war wie ein Hund, den man auf eine Fährte gesetzt hat. Bei dem geringsten Verdacht machte er sich an die Verfolgung. Jedem Wagen, der an jenem schicksalhaften Tag durch das Dorf gekommen
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