Ein gefährliches Geschenk
herauszufinden, warum die beiden Menschen ungerührt mit geschlossenen Augen im Bett lagen, obwohl er schon längst nach draußen gemusst hätte.
Fragend bellte er einmal.
»Okay, Henry, gleich.«
Max fuhr mit den Fingerspitzen über Laines Arm. »Soll ich es tun?«
»Du hast es bereits getan. Danke.«
»Haha. Soll ich den Hund hinauslassen?«
»Nein, wir haben unsere eigene kleine Routine.«
Sie stand auf, woraufhin Henry zur Badezimmertür und wieder zurückraste und einen kleinen Freudentanz aufführte, während sie ihren Morgenmantel aus dem Schrank holte.
»Gehört zu der Routine auch Kaffee?«, fragte Max.
»Es gibt keine Routine ohne Kaffee.«
»Gott sei Dank. Ich dusche mich schnell und komme dann runter.«
»Lass dir Zeit. Bist du sicher, dass du nach draußen möchtest, Henry? Bist du dir da absolut sicher?«
An ihrem Tonfall und der manischen Reaktion des Hundes erkannte Max, dass auch diese Frage zum morgendlichen Ritual gehörte. Der Hund galoppierte die Treppe hinunter und wieder herauf, während Laine ihm lachend folgte.
Max grinste unwillkürlich.
Unten entriegelte Laine die Tür zum Vorraum und schloss auch gleich die Hintertür auf, damit Henry sich nicht durch seine Hundeklappe zwängen musste, sondern gleich hinausschießen konnte. Tief sog sie die Morgenluft ein.
Dann beugte sie sich bewundernd über ihre Frühlingsblumen und schnupperte an den roten und violetten Hyazinthen, die sie gepflanzt hatte. Mit verschränkten Armen sah sie Henry zu, der an jedem Baum im Garten das Bein hob. Gleich würde er in den Wald rennen und versuchen, ein paar Eichhörnchen zu erschrecken oder vielleicht sogar ein Reh aufzuscheuchen. Aber zuerst musste er sorgfältig sein Revier markieren.
Sie lauschte dem Vogelgezwitscher und dem Plätschern des kleinen Bachs. Ihr Körper war noch warm von Max, und sie fragte sich, wie man an einem so vollkommenen, friedlichen Morgen auch nur eine einzige Sorge haben konnte.
Sie schloss die Außentür und ging summend in die Küche.
Er trat hinter der Tür hervor - und ihr Herzschlag setzte aus. Sie öffnete den Mund, um zu schreien, aber er legte ihr warnend den Finger auf die Lippen, und der Laut blieb ihr in der Kehle stecken.
10
E s verschlug ihr den Atem, und sie taumelte gegen die Wand. Mit einer Hand griff sie sich an den Hals.
Dann holte sie tief Luft und stieß sie geräuschvoll wieder aus.
»Dad!«
»Überraschung, Lainie.« Mit großer Geste zog er die Hand hinter dem Rücken hervor und streckte ihr einen welkenden Strauß Veilchen entgegen. »Wie geht es meinem kleinen Mädchen?«
»Was tust du hier? Wie bist du …« Sie brach ab, bevor sie ihn fragte, wie er hereingekommen war. Das wäre eine alberne Frage gewesen, schließlich war es von jeher seine Lieblingsbeschäftigung gewesen, Schlösser zu knacken. »Oh, Dad, was hast du getan?«
»Na, begrüßt man so seinen alten Vater nach so langer Zeit?« Er breitete die Arme aus.
»Bekomme ich keinen Kuss?«
In seinen Augen, die so blau waren wie ihre, stand ein Zwinkern. Seine Haare - sein ganzer Stolz - waren leuchtend rot und lagen üppig um sein fröhliches, sommersprossiges Gesicht.
Er trug ein kariertes Flanellhemd in Schwarz und Rot und eine Jeans. Die Sachen sahen so aus, als habe er darin geschlafen. Seine Stiefel wirkten ganz neu.
Er legte den Kopf schräg und blickte sie jungenhaft lächelnd an. Dagegen war sie machtlos. Sie stürzte sich in seine Arme und ließ sich von ihm herumschwenken.
»Das ist mein braves Mädchen, meine süße Kleine. Meine Prinzessin Lainie von Haraland.«
Sie legte den Kopf an seine Schulter. »Ich bin nicht mehr sechs, Dad. Auch nicht mehr acht oder zehn.«
»Aber doch immer noch mein Mädchen, oder?«
Er roch nach Zimt und war so stark wie ein Grizzlybär. »Ja, vermutlich schon.« Sie löste sich von ihm, und er stellte sie wieder auf die Füße. »Wie bist du hierher gekommen?«
»Mit Zug, Flugzeug und Auto. Und den letzten Rest der Strecke habe ich zu Fuß zurückgelegt. Das ist ja eine atemberaubende Landschaft hier, mein Engelchen. Aber hast du schon gemerkt, dass es mitten im Wald ist?«
Unwillkürlich musste sie lächeln. »Im Ernst? Na, was für ein Glück, dass ich gern im Wald bin.«
»Das musst du von deiner Mutter haben. Wie geht es ihr?«
»Sehr gut.« Laine wusste nicht, warum prompt ein Schuldgefühl in ihr aufstieg, wenn er sie ohne Hintergedanken und ernsthaft interessiert nach dem Befinden ihrer Mutter fragte. »Seit wann bist
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