Ein Gentleman wagt - und gewinnt
den Aktivitäten, die ich ihr vorschlug und die wir zusammen unternehmen werden. Und doch …” Nachdenklich hielt Lady Penrose den Brief hoch. “Der Colonel schreibt mir, falls es nötig sei, soll ich ein paar Kleider für seine Enkelin anfertigen lassen und ihm die Rechnungen schicken.” Seufzend verdrehte sie die Augen. “In der Tat, ihre schäbige Aufmachung würde eher zu einer Küchenmagd passen. Besitzt sie nichts anderes zum Anziehen? Lediglich dieses altmodische Zeug? Wenn ja, muss ihr Großvater nicht bloß zwei oder drei neue Gewänder, sondern eine komplette Garderobe bezahlen.”
Die Zofe nickte verständnisvoll. Obwohl sich ihre Herrin bereits in mittleren Jahren befand und ihre Figur bedauerlicherweise immer fülliger wurde, zeigte sie ein lebhaftes Interesse an allen Belangen der Mode. “Abgesehen von zwei tauglichen Abendroben enthält Miss Abigails Truhe nichts, was Ihren Ansprüchen genügen würde, Mylady. Aber wie ich betonen muss – ihre Wäsche ist von erster Güte.”
“Immerhin etwas …” Lady Penrose strich sich mit Colonel Grahams Brief über das Doppelkinn. “Trotzdem werden wir morgen Vormittag die Geschäfte in der Milsom Street aufsuchen.”
Nicht nur das Wetter, das sich plötzlich verschlechterte, sondern auch Abbies erstaunlicher Mangel an Begeisterung bewogen ihre Patentante, den Einkaufsbummel zu verschieben. Natürlich war sie ein wenig enttäuscht, als die junge Dame betonte, sie interessiere sich nicht für die Mode und die Ausstattung, die sie mitgebracht habe, würde für den Aufenthalt in Bath genügen.
Doch als sie sich an diesem Abend in der Halle trafen, um zu einer Gesellschaft zu fahren, fand Lady Penrose nichts an der äußeren Erscheinung ihrer Patentochter auszusetzen. Offensichtlich war das schlichte nachtblaue Seidenkleid von einer erstklassigen Schneiderin angefertigt worden. Miss Felcham hatte die dunklen Locken des Mädchens kunstvoll frisiert, eine Perlenkette schmückte den schlanken Hals. Dazu trug Abbie passende Ohrringe.
Obwohl Ihre Ladyschaft Abigails zurückhaltend elegante Aufmachung mit Wohlwollen zur Kenntnis nahm, gab sie ihren Plan, ihren Hausgast neu einzukleiden, keineswegs auf. Inständig wünschte sie, man würde ihre Patentochter zur fashionabelsten jungen Dame von Bath erklären.
“Dem Himmel sei Dank, es hat zu regnen aufgehört”, bemerkte Lady Penrose, während sie in die wartende Kutsche stiegen. “Wenn wir Glück haben, können wir morgen die Trinkhalle besuchen. Dort möchte ich dich meinen Freunden vorstellen. Allerdings nehme ich an, den meisten werden wir bereits heute Abend auf Agnes Fergussons kleiner Soiree begegnen.”
Abigail hob belustigt die Brauen. Anscheinend war Lady Penrose eine Gesellschaftslöwin, die alles kannte, was in Bath Rang und Namen hatte. “Meinetwegen brauchst du in dieser Hinsicht keine Mühen auf dich zu nehmen. Ich langweile mich nicht, und ich kann mich sehr gut allein beschäftigen.” Wieder einmal wurde sie mit jenem prüfenden Blick bedacht, der ihr seit der Ankunft in Bath schon öfter ein gewisses Unbehagen bereitet hatte. Noch während sie sich fragte, was im Kopf ihrer Patentante vorgehen mochte, erhielt sie die Antwort.
“Irgendwie habe ich das Gefühl, du führst ein sehr zurückgezogenes Leben. Hast du keinen Bekanntenkreis?”
“Darauf musste ich in den letzten Jahren verzichten”, gab Abbie zu, weil sie keinen Grund sah, die Wahrheit zu verheimlichen. “Meine gleichaltrigen Freundinnen haben geheiratet oder sind woandershin gezogen. Aber ich verstehe mich recht gut mit den Ehefrauen von Großvaters Nachbarn.”
“Sicher bist du viel jünger als sie.”
“Ja, Tante Henrietta. Wie ich gestehen muss, bevorzuge ich die Gesellschaft älterer Damen.”
“Vermutlich weil dir nichts anderes übrig bleibt …” Eine Zeit lang schwieg Lady Penrose, bevor sie sich erkundigte: “Gibt es heutzutage keine netten jungen Gentlemen mehr in Leicestershire?”
Abbie ahnte, worauf ihre Patentante hinauswollte, und unterdrückte ein Lächeln. Seltsamerweise fand sie die Frage nicht unangenehm. Es hätte sie eher verwundert, wäre das Thema ihres nach wie vor ledigen Standes nicht angeschnitten worden.
Nun wollte sie klarstellen, wie sie darüber dachte, um künftige Missverständnisse zu vermeiden. “Während der Jagdsaison kommen viele Junggesellen in unsere Gegend, und einige leben auch in der Nähe von Foxhunter Grange – zum Beispiel ein Arzt, mit dem ich Freundschaft
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