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Ein Gentleman wagt - und gewinnt

Ein Gentleman wagt - und gewinnt

Titel: Ein Gentleman wagt - und gewinnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Ashley
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ur das stetige Ticken der Uhr auf dem Kaminsims war im Salon von Foxhunter Grange zu hören. Miss Abigail Graham starrte entschlossen aus dem Fenster und vermied es sorgsam, zu dem Teil des Gartens hinter den Büschen hinüberzuschauen, den sie nicht mehr betrat. Endlich hatte sie ihre Entscheidung getroffen – so konnte und wollte sie nicht weiterleben.
    “Nun, mein Kind? Hast du nichts zu sagen?”, brach der ältere Herr, der auf einem Sessel in der Nähe des Kamins saß, das Schweigen. Seine Stimme klang merklich schärfer als zuvor bei der Mitteilung, er habe Arrangements für Abigails nächste Zukunft getroffen. “Verdiene ich kein einziges Dankeswort, nachdem ich dafür gesorgt habe, dass du während meiner Abwesenheit angemessen betreut wirst?”
    “Ich soll dir danken?” Abbie wandte ihren Blick von der Blütenpracht draußen ab und drehte sich um.
    Die Ähnlichkeit zwischen ihr und dem weißhaarigen Gentleman konnte niemandem entgehen. Ein gütiges Schicksal hatte Miss Graham die Hakennase erspart, die schon seit mehreren Generationen fast alle männlichen und ein paar bedauernswerte weibliche Familienmitglieder charakterisierte, doch sie hatte die blauvioletten Augen und das seidige schwarze Haar der Grahams geerbt und war von der Natur mit einer eleganten Haltung und einer schlanken Figur bedacht worden. Nicht einmal das unscheinbare graue Kleid, eher für eine Gouvernante geeignet, konnte ihre wohlgeformte Gestalt verbergen. Ebenso wenig vermochte ihre schlichte Frisur einen Betrachter von ihren fein gezeichneten, perfekt symmetrischen Zügen und dem makellosen Teint abzulenken.
    “Würde ich glauben, dass du mich nach Bath schickst, damit ich die Gesellschaft meiner Patentante genieße, die ich fast sechzehn Jahre nicht gesehen habe – ja, dann wäre ich dir dankbar.” Nur die pochende Ader an Abigails Schläfe verriet den Zorn, der sich so lange in ihr angestaut hatte. Zum ersten Mal war sie nahe daran, die Beherrschung zu verlieren. “Aber ich kenne dich zu gut. Du willst aus einem anderen Grund verhindern, dass ich in deiner Abwesenheit hierbleibe. Damit ich keine engere Freundschaft mit unserem neuen Arzt schließe!”
    Sekundenlang verriet Colonel Augustus Grahams Mienenspiel ein gewisses Missbehagen, als er seine empörte Enkelin musterte. “Du redest Unsinn, Kind”, protestierte er dann und griff mit unmerklich zitternder Hand nach dem Brandyglas auf dem Tisch neben sich. “Ich fürchte, du leidest an einer kleinen Unpässlichkeit. Vielleicht sollten wir deine Reise um ein paar Tage verschieben, bis du dich besser fühlst.”
    “Oh nein, Großvater. Morgen früh werde ich wie geplant aufbrechen. Wenn die Zofe, die meine Patentante mir freundlicherweise schickt, heute eintrifft, müsste sie sich über Nacht ausreichend erholen können.”
    Abigails entschiedener Tonfall überraschte den Colonel. Bisher war sie ihm stets mit untadeligem Respekt begegnet. Er stand auf und lehnte sich gegen den Kamin, dann schaute er sie wieder an. “Offenbar bist du pikiert, weil ich dich eben erst über meine Vereinbarung mit Lady Penrose informiert habe.”
    “Gewiss, ich wäre gern nach meinen Wünschen gefragt worden”, bestätigte Abbie. Irgendwie schaffte sie es, ihre bewundernswerte Selbstkontrolle zu wahren. “Aber obwohl kaum davon auszugehen ist, dass du es beabsichtigst – du tust mir einen Gefallen. Während ich bei meiner Patentante wohne, möchte ich entscheiden, wie ich meinen Lebensunterhalt verdiene, bis ich an meinem fünfundzwanzigsten Geburtstag über das Geld verfügen kann, das mir meine Mutter vermacht hat.”
    “Um Himmels willen, was redest du da, Kind?”, rief der Colonel und gab sich keine Mühe, seinen wachsenden Unmut zu verhehlen. “Selbstverständlich wirst du nach Foxhunter Grange zurückkehren. Das Erbe deiner Mutter ist ein Almosen verglichen mit dem Vermögen, das du von mir erhalten wirst. Nach meinem Tod kannst du ein komfortables Leben führen – vorausgesetzt, du gibst mir keinen Grund, mein Testament zu ändern.”
    Diese überflüssige, taktlose Drohung war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Noch länger vermochte Abigail ihre Wut nicht zu zügeln. “Verdammt, dann ändere es eben!”
    Nur wenige Männer, geschweige denn eine Frau, würden es wagen, so mit einem älteren Mitglied ihrer Familie zu sprechen. Das wusste sie. Doch davon ließ sie sich nicht beirren. Der unheilvolle Glanz in den Augen ihres Großvaters und seine verkniffenen

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