Ein Gentleman wagt - und gewinnt
geschlossen habe. Aber ich bin bislang keinem Mann begegnet, den ich heiraten möchte.”
“Dazu hattest du nicht allzu viele Gelegenheiten, meine Liebe, oder?” Verwirrt schüttelte Lady Penrose den Kopf. “Ich verstehe nicht, wieso dein Großvater dich erst jetzt zu mir geschickt hat. Seit deinem siebzehnten Geburtstag schrieb ich ihm mehrmals und schlug vor, du solltest mich in Bath besuchen.”
“Davon wusste ich nichts. In deinen Briefen an mich hast du es nie erwähnt.”
“Nein, natürlich nicht, Kindchen. Bevor ich dich einlud, wollte ich der Erlaubnis des Colonels sicher sein – das erschien mir nur recht und billig. Leider hatte ich keinen Erfolg.”
“Was mich nicht überrascht. Großvater würde es nicht riskieren, dass ich nähere Bekanntschaft mit einem Gentleman schließe.”
Empört runzelte Ihre Ladyschaft die Stirn. “Wie meinst du das? Ist er selbstsüchtig genug, dich auf Foxhunter Grange festzuhalten, damit du ihm in seinen letzten Lebensjahren Gesellschaft leistest?”
“Keineswegs, Tante Henrietta”, versicherte Abigail. “Doch er will mich immer noch mit dem Gentleman verheiraten, den er mir von Anfang an zugedacht hat. An diesem Entschluss hält er hartnäckig fest. Und deshalb finde ich es erstaunlich, dass ich deine freundliche Einladung diesmal annehmen durfte.”
“Oh nein, Liebes, nicht ich habe dem Colonel geschrieben”, erklärte Lady Penrose hastig. “Er war es, der mich bat, dich für einige Wochen aufzunehmen. Wie ich bereits erwähnte, habe ich mich über seinen Brief gewundert …” Als sie die Bestürzung ihrer Patentochter bemerkte, fügte sie rasch hinzu: “Selbstverständlich habe ich seinen Wunsch nur zu gern erfüllt. Er nahm an, du würdest es vorziehen, hierherzukommen, statt ihn ins schottische Hochland zu begleiten.”
Da hatte er recht, dachte Abbie. Und dann versuchte sie mit wachsender Besorgnis herauszufinden, warum sich ihr Großvater die Mühe gemacht hatte, ihre Reise nach Bath zu arrangieren. Wenn er verhindern wollte, dass sich eine tiefere Freundschaft zwischen seiner Enkelin und dem jungen Doktor entwickelte, hätte er sie einfach nach Schottland mitnehmen können. Es musste mehr hinter seinem Verhalten stecken. Aber was? Führte er irgendetwas im Schilde?
Die Chaise hielt vor einem imposanten Gebäude am Stadtrand. Nun war keine Zeit mehr, um über ihr Problem nachzudenken, und sie verdrängte es in den Hintergrund ihres Bewusstseins, während sie ihrer Patentante ins Haus folgte. Die Gastgeberin stand am Eingang eines großen, exquisit eingerichteten Salons und begrüßte die beiden Damen so herzlich, dass Abigails anfängliche Befangenheit sofort verflog.
“Wie nett und liebenswürdig deine Freundin ist, Tante Henrietta!”, bemerkte sie, als sie weitergingen. “Sie erinnert mich an eine Nachbarin meines Großvaters.”
“Ja, Agnes Fergusson ist eine gute Seele. Wir sind schon seit Jahren befreundet. Sei bloß nicht pikiert, wenn sie dich im Lauf des Abends mit sämtlichen vielversprechenden Junggesellen bekannt macht, die hier anwesend sind!”, warnte Lady Penrose. “Sie spielt für ihr Leben gern die Kupplerin, und das mit beträchtlichem Erfolg. Ihre fünf Töchter hat sie mühelos unter die Haube gebracht.”
“Keine Bange, ich werde mich nicht gekränkt fühlen”, beteuerte Abigail. Inzwischen hatten sie zwei leere Stühle an der Wand gefunden, und Abigail nahm auf einem von ihnen Platz, nachdem Ihre Ladyschaft sich gesetzt hatte. “Indes hoffe ich, ich beleidige sie nicht, wenn ich ihren ersten Fehlschlag heraufbeschwöre.” Da sie sich neugierig das Gedränge anschaute, das den Raum erfüllte, entging ihr, dass die Tante bei ihrer Bemerkung die Stirn runzelte. “Deine Freundin ist anscheinend eine sehr beliebte Gastgeberin. Wenn das eine
kleine
Soiree ist, würde mich interessieren …”
Lady Penrose wollte ihre Patentochter eben fragen, was sie so abrupt hatte verstummen lassen, als ihr Blick auf einen hochgewachsenen Gentleman in Begleitung einer älteren Dame und eines etwa siebzehnjährigen Mädchens fiel, der sich gerade vor der Hausherrin verneigte. Als sie daraufhin Abigail wieder ansah, gewahrte sie deren aschfahle Wangen und erschrak. “Was bedrückt dich denn, Liebes? Du bist ja ganz blass.”
Mit bebenden Fingern umklammerte Abigail ihren filigranen Fächer aus Elfenbein. “Oh, zur Hölle mit ihm!”
2. KAPITEL
N ur die sichtliche Besorgnis der Patentante hinderte Abigail daran, aus dem Salon zu
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