Ein Geschenk der Kultur
minderer als Taschenrechner sind; ein Schiff von lässiger Erhabenheit in seiner unbezwingbaren Kraft und unerschöpflichen Weisheit… Hier sind wir mit unserem Schiff und unseren Modulen und unseren Plattformen, Satelliten und Landefahrzeugen und Drohnen und Wanzen und durchsieben ihren Planeten nach seinen wertvollsten Kunstwerken, seinen heikelsten Geheimnissen, seinen edelsten Gedanken und größten Leistungen; wir plündern ihre Zivilisation gründlicher und umfassender als alle Eindringlinge in ihrer Geschichte zusammengenommen; wir geben keinen Pfifferling für ihre erbärmlichen Waffen und zollen hundertmal mehr Aufmerksamkeit ihrer Kunst und Geschichte und Philosophie als ihrer kümmerlichen Wissenschaft; wir betrachten ihre Religionen und ihre Politik in der Weise, wie ein Arzt Symptome betrachtet… Und trotz alledem, trotz all unserer Macht und unserer Überlegenheit hinsichtlich Fortschritt, Wissenschaft, Technologie, Denken und Verhalten gab es hier diesen armen Tropf, der in sie vernarrt war, während sie nicht einmal wußten, daß er existierte, der in ihren Bann geschlagen war und sie anbetete; und der machtlos war. Ein unmoralischer Sieg für die Barbaren.
Nicht daß ich selbst in einer wesentlich besseren Position gewesen wäre. Vielleicht strebte ich genau das Gegenteil von Dervley Linter an, aber ich bezweifelte sehr, daß ich meinerseits damit durchkommen würde. Ich wollte nicht weg von hier, ich wollte sie nicht von uns verschonen und sich selbst vernichten lassen; ich wollte, daß wir uns in höchstem Maße einmischten; ich wollte an diesem Ort mit einem Programm zuschlagen, auf das Lev Dawidowitsch stolz gewesen wäre. Ich hätte mit Wonne zugesehen, wie sich die Junta-Generäle in die Hosen machten, wenn sie erkannten, daß die Zukunft – nach irdischen Begriffen – rot, leuchtend rot sein würde.
Natürlich hielt mich das Schiff ebenfalls für verrückt. Vielleicht stellte es sich vor, daß wir, Linter und ich, uns gegenseitig auf irgendeine Weise aufheben und beide zur Vernunft kommen würden.
Linter wollte also, daß mit diesem Planeten überhaupt nichts geschähe, und ich wollte, daß alles mögliche mit ihm geschähe. Das Schiff – gemeinsam mit welchen Gehirnen auch immer, die bei der Entscheidung über die Vorgehensweise mitwirkten – stand letzten Endes wahrscheinlich Linters Auffassung näher als meiner, aber genau das war der Grund, weshalb der Mann nicht bleiben konnte. Er würde sich als eine aufs Geratewohl eingestellte Zeitbombe erweisen, die mitten in einem unverseuchten Experiment vor sich hintickte, zu dem die Erde vermutlich werden würde; ein Päckchen mit Strahlenverseuchung, mit dem dem ganzen Unternehmen jeden Augenblick auf Heisenbergsche Weise ein Ende bereitet werden konnte.
Im Moment gab es nichts mehr, was ich in bezug auf Linter noch tun konnte. Er sollte erst einmal über das nachdenken, was ich gesagt hatte. Vielleicht würde allein schon das Wissen, daß ihn nicht nur das Schiff für töricht und selbstsüchtig hielt, eine entscheidende Wende bringen.
Ich überredete ihn, mich in dem Rolls Royce durch Paris zu kutschieren und mir alles zu zeigen, und dann speisten wir – vorzüglich – am Montmartre und landeten schließlich am Rive Gauche, wo wir durch ein Labyrinth von Straßen schlenderten und eine schändliche Menge an Weinen und Schnäpsen probierten. Ich hatte ein Zimmer im George reserviert, blieb aber für diese Nacht bei Linter, einfach weil es als das natürlichste erschien – besonders in unserem betrunkenen Zustand –, und es war sowieso eine ganze Weile her gewesen, daß ich mich während der Nacht in jemandes Arme hatte kuscheln können.
Am nächsten Morgen, bevor ich nach Berlin aufbrach, stellten wir beide genau das richtige Maß an peinlicher Berührung zur Schau, und so trennten wir uns als Freunde.
3.3: Entwicklungshemmung
Der bloße Gedanke an eine Stadt hat etwas an sich, das von zentraler Bedeutung für das Verständnis eines Planeten wie die Erde ist und insbesondere für das Verständnis jenes Teils der damals existierenden Gruppenzivilisation, * die sich selbst als ›der Westen‹ bezeichnete (das war der Verein, mit dem ich am meisten zu tun hatte). Dieser Gedanke findet meines Erachtens seine materialistische Verherrlichung in Berlin.
Vielleicht erleide ich jedesmal eine Art Schock, wenn ich ein tiefgreifendes Erlebnis habe; ich bin mir nicht sicher, nicht einmal in meinem reifen Mittel-Alter, aber ich muß
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