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Ein Geschenk der Kultur

Ein Geschenk der Kultur

Titel: Ein Geschenk der Kultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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und drehte ihn in der Hand in alle Richtungen um. Die Musik flimmerte durch den Raum, wie Sonnenstrahlen auf Wasser glitzern; Punkte ergaben Linien, die leise tanzten. »Ich weiß«, sagte er, während er noch immer die schwere Kugel aus gedrehtem Glas betrachtete, »das muß Ihnen wie eine verrückte Idee erscheinen, aber ich… ich bin einfach gierig nach diesem Ort.« Er sah mich an, und zwar zum ersten Mal – so kam es mir vor – ohne herausfordernde Grimasse oder starrer Gleichgültigkeit.
    »Ich weiß, was Sie meinen«, sagte ich. »Aber ich kann es nicht vollkommen verstehen… Vielleicht bin ich argwöhnischer als Sie; es hat irgendwie den Anschein, als kümmerten Sie sich manchmal mehr um die Belange anderer Leute als um Ihre eigenen… Sie unterstellen ihnen, sie hätten die Dinge nicht so gründlich durchdacht wie Sie selbst.« Ich seufzte und hätte beinahe gelacht. »Vermutlich unterstelle ich…, hoffe ich, daß Sie Ihre Meinung noch ändern werden.«
    Linter schwieg ein Weile und betrachtete weiterhin die Halbkugel aus farbigem Glas. »Vielleicht werde ich das.« Er zuckte heftig die Achseln. »Vielleicht werde ich das«, wiederholte er und musterte mich forschend. Er hustete. »Hat das Schiff Ihnen erzählt, daß ich in Indien war?«
    »In Indien? Nein, das hat es mir nicht erzählt.«
    »Ich reiste für einige Wochen dorthin. Ich hatte die Willkür von meiner Absicht nicht unterrichtet, aber natürlich fand sie es heraus.«
    »Warum? Ich meine, was wollten Sie dort?«
    »Ich wollte das Land sehen«, sagte Linter; er rutschte auf seinem Sessel nach vorn, rieb den Briefbeschwerer, stellte ihn wieder auf den Granittisch und rieb sich die Hände. »Es war schön…, sehr schön. Wenn ich noch die geringsten Bedenken hatte, dann sind sie dort verschwunden.« Er sah mich an; sein Gesicht war mit einemmal offen, eindringlich, die Hände hielt er mit gespreizten Fingern ausgestreckt. »Es sind die Gegensätze, die…« Er wandte den Blick ab, offenbar um Worte verlegen, die seinen lebhaften Eindrücken gerecht würden. »Die Glanzlichter, Licht und Schatten des Ganzen. Das Elend und der Schmutz, die Krüppel und die aufgeblähten Bäuche; die ganze Armut läßt die Schönheit strahlen… Ein einziges hübsches Mädchen im Getriebe von Kalkutta wirkt wie eine unglaublich zarte Blüte, wie ein… Ich meine, es ist unvorstellbar, daß der Dreck und die Not sie nicht irgendwie vergiftet hat… Es ist wie ein Wunder…, eine Erleuchtung. Dann wird einem bewußt, daß sie nur ein paar Jahre lang so sein wird, daß sie nur wenige Jahrzehnte lang leben wird, daß sie verbraucht und verwelkt sein und sechs Kinder geboren haben wird… Dieses Gefühl, die Erkenntnis, das Straucheln…« Seine Stimme verebbte, und er sah mich einigermaßen hilflos, fast verletzlich an. Das war der Moment, in dem ich meine aussagekräftigste, inhaltsschwerste Bemerkung hätte machen sollen. Aber es war auch der Moment, in dem ich genau das nicht tun konnte.
    Also saß ich da und sagte immer noch nichts, und Linter fuhr fort: »Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Es lebt. Ich lebe. Wenn ich tatsächlich morgen sterben sollte, dann waren allein diese letzten paar Monate die Sache wert. Ich weiß, daß ich durch mein Bleiben ein Risiko eingehe, aber eben das ist das Wesentliche. Ich weiß, daß ich mich womöglich einsam und ängstlich fühle. Ich rechne damit, daß es gelegentlich so kommen wird, aber es lohnt sich. Die anderen Dinge entschädigen für die Einsamkeit. Wir erwarten, daß alles genauso eingerichtet ist, wie wir es gern hätten, diese Leute hier tun das jedoch nicht; sie sind daran gewöhnt, daß sie sich mit einer Mischung aus Gutem und Schlechtem abfinden müssen. Und das beschert ihnen ein Interesse am Leben, deshalb schätzen sie Gelegenheiten… Diese Leute wissen, was eine Tragödie ist, Sma. Sie durchleben sie. Wir sind nur das Publikum.«
    Er saß da und wich meinem Blick aus, während ich ihn anstarrte. Der Großstadtlärm dröhnte hinter den Fenstern, Sonnenstrahlen drangen in den Raum und vergingen, wenn Wolken über uns hinwegzogen, und ich dachte: du armes Schwein, du bedauernswerter Tölpel, dich hat es erwischt.
    Da sind wir nun mit unserem sagenhaften AKE, unserer überlegenen Maschine; wir sind in der Lage, ihre gesamte Zivilisation auszulöschen und in einer Tagesreise Proxima Centauri zu erreichen; vollgepackt mit Technologie, verglichen mit der ihre Superbomben Knallfrösche und ihre Crays

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