Ein Geschenk der Kultur
auf einer etwas tieferen Entwicklungsstufe steht.«
»Aber Sma, sie leben nach ihren Instinkten, oder versuchen es zumindest. Wir sind ungemein stolz darauf, daß wir nach unseren bewußten Einsichten leben, aber wir haben verlernt, uns zu schämen. Dabei haben wir das genauso nötig. Wir haben es sogar noch nötiger als sie.«
»Was?« schrie ich. Ich fuhr herum, packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn. »Was sollen wir? Uns schämen, weil wir uns nach unserem Bewußtsein richten? Bist du übergeschnappt? Was fehlt dir nur? Wie kannst du so etwas sagen ?«
»Hör doch zu! Ich behaupte nicht, daß sie besser sind; ich sage nicht, wir sollten versuchen, so wie sie zu sein; ich meine nur, sie haben einen Begriff von… Licht und Schatten, der uns fehlt. Auch sie sind manchmal stolz, aber sie schämen sich auch; sie fühlen sich überlegen und allmächtig, doch dann erkennen sie wiederum, wie machtlos sie in Wirklichkeit sind. Sie kennen das Gute, das sie in sich bergen, aber sie kennen auch das Böse in sich; sie finden sich mit beidem ab, sie leben mit beidem. Uns fehlt diese Dualität, diese Ausgewogenheit. Und… und kannst du denn nicht einsehen, daß es für ein Wesen – mich –, das in der Kultur aufgewachsen ist, das sich aller Möglichkeiten des Lebens bewußt ist, erfüllender sein kann, in dieser Gesellschaft zu leben anstatt in der Kultur?«
»Du findest dieses… Jammertal also erfüllender?«
»Ja, natürlich. Weil es so… einfach, weil es so lebendig ist. Letzten Endes haben die Leute hier recht, Sma; es geht nicht so sehr darum, ob vieles von dem, was sich abspielt, das ist, was wir – oder auch sie – möglicherweise ›böse‹ nennen; es geschieht nun mal, es ist da, und das ist entscheidend, deshalb lohnt es sich, hierzusein und dazuzugehören.«
Ich nahm die Hände von seinen Schultern. »Nein, ich verstehe dich nicht. Verdammt noch mal, Linter, du bist für mich fremdartiger als die Leute hier. Zumindest haben jene eine Entschuldigung. Herrje, du gebärdest dich wie ein blöder, vom Mythos benebelter Frischkonvertierter, ist dir das nicht klar? Der Fanatiker. Der Irre. Du tust mir leid, Mann.«
»Nun… ich danke dir.« Er wandte den Blick gen Himmel und blinzelte erneut. »Ich wollte nicht, daß du mich allzu schnell verstehen würdest, und« – er gab einen Laut von sich, der annähernd ein Lachen war – »ich glaube, das ist auch nicht geschehen, nicht wahr?«
»Sieh mich nicht so flehentlich an.« Ich schüttelte den Kopf, aber ich konnte nicht weiterhin wütend auf ihn sein, wenn er mich so ansah. Etwas in mir gab klein bei, und ich sah, wie eine Art schüchternes Lächeln über Linters Gesicht huschte. »Ich habe nicht die Absicht«, sagte ich, »dir die Sache leichtzumachen, Dervley. Du begehst einen Fehler. Den größten deines Lebens. Du tätest gut daran zu begreifen, daß du ganz allein bist. Bilde dir nicht ein, ein paar hingepfuschte Veränderungen und die Ausstattung mit neuen Darmbakterien brächte dich dem Homo sapiens einen Deut näher.«
»Du bist eine Freundin, Diziet. Ich bin dir dankbar, daß du dir Sorgen machst… Aber ich glaube, ich weiß, was ich tue.«
Es war an der Zeit, daß ich wieder mal den Kopf schüttelte, also tat ich es. Linter hielt meine Hand fest, während wir zur Brücke zurückgingen und dann den Park verließen. Er tat mir leid, denn offenbar war er sich über seine Einsamkeit klar geworden. Wir wanderten noch eine Zeitlang durch die Stadt, dann gingen wir zum Mittagessen in seine Wohnung. Er wohnte in einem modernen Block nicht weit vom Hafen und, nicht weit entfernt von dem klotzigen Kasten des Rathauses; er hatte ein kahles Apartment mit weißen Wänden und wenigen Möbeln. Es machte keinen sehr bewohnten Eindruck, abgesehen von einigen späten Lowry-Reproduktionen und Holbein-Skizzen.
Während des Vormittags hatte sich der Himmel bewölkt. Ich verließ ihn nach dem Essen. Ich vermute, er hatte erwartet, daß ich bliebe, aber ich wollte nichts anderes mehr, als schleunigst zum Schiff zurückzukehren.
4.4: < Gott hat es mir eingegeben
»Warum habe ich was getan?«
»Was du mit Linter gemacht hast. Warum hast du ihn verändert, ihn umgekrempelt?«
»Weil er mich darum gebeten hat«, antwortete das Schiff. Ich stand auf dem oberen Deck des Hangars. Ich hatte gewartet, bis ich wieder an Bord war, bevor ich mich mit ihm auseinandersetzte, mittels einer ferngesteuerte Drohne.
»Und natürlich stand keineswegs die
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