Ein Geschenk der Kultur
Hoffnung dahinter, ihm könnte sein neuer Zustand so sehr mißfallen, daß er in den angestammten Schoß zurückgekrochen käme. Es sollte auch nicht der Versuch sein, ihm durch das Leiden des plötzlichen Menschseins einen Schock zu versetzen, während die Eingeborenen wenigstens den Vorteil genossen, langsam in ihre Rolle hineinzuwachsen und sich an den Gedanken zu gewöhnen. Und es war bestimmt nicht deine Absicht, daß er sich selbst körperliche und seelische Qualen zufügte, damit du dich zurücklehnen und frohlocken könntest: ›Ich hab’s dir ja gleich gesagt‹, wenn er weinend zu dir zurückkäme und dich anflehte, ihn wieder aufzunehmen.«
»Nun, so war es in der Tat nicht. Du glaubst offenbar, ich hätte Linter für meine eigenen Zwecke verändert. Das stimmt nicht. Ich habe es getan, weil Linter danach verlangte. Sicher, ich habe versucht, es ihm auszureden, doch als ich davon überzeugt war, daß er es ernst meinte und daß er wußte, was er tat und welche Auswirkungen es hatte – und als ich nach vernünftiger Abwägung nicht zu dem eindeutigen Schluß kommen konnte, daß er verrückt sei –, erfüllte ich ihm seinen Wunsch.
Ich ahnte natürlich, daß es ihm nicht unbedingt großes Vergnügen bereiten würde, etwas so elementar Menschenähnliches zu sein, doch ich glaubte, als wir die Angelegenheit eingehend besprachen, seinen Worten entnehmen zu können, daß er von vornherein kein Vergnügen erwartete. Er wußte, daß es unangenehm sein würde, doch er betrachtete es als eine Art Geburt, oder vielmehr Wiedergeburt. Ich hielt es für unwahrscheinlich, daß er so unvorbereitet auf das Erlebnis wäre und sich so sehr davon erschüttern ließe, daß er entsprechend seiner Genofix-Norm zurückverwandelt werden wollte, und für noch unwahrscheinlicher, daß er noch weitergehen und sein Vorhaben, für immer auf der Erde zu bleiben, völlig aufgeben würde.
Du enttäuschst mich ein wenig, Sma. Ich dachte, du würdest mich verstehen. Der Beweggrund für den Versuch, übertrieben gerecht und unparteiisch zu sein, ist nicht das Streben nach Lob, dessen bin ich sicher, sondern die Hoffnung, etwas getan zu haben, das eher ehrlich als bequem ist, deshalb sollte man in einem solchen Fall nicht so unverblümt der üblen Absichten verdächtigt werden. Ich hätte Linters Wunsch abschlagen können; ich hatte darauf verweisen können, daß mir der Gedanke Unbehagen bereitete und ich deshalb nichts damit zu tun haben wollte. Ich hätte eine überaus angemessene Abwehr allein mit der Begründung ästhetischer Geschmacklosigkeit errichten können, aber ich tat es nicht.
Es gibt drei Gründe: Erstens, ich müßte lügen, wenn ich sagte, daß ich Linter jetzt abstoßender oder ekelerregender fände als zuvor. Entscheidend ist sein Gehirn; sein Intellekt und dessen Verfassung. Physiologische Einzelheiten sind weitgehend nebensächlich. Sicher ist sein Körper weniger leistungsfähig als zuvor, weniger ausgeklügelt, weniger widerstandfähig, weniger anpassungsfähig an vorgegebene Bedingungen als – sagen wir mal – der deine, aber er lebt im Westen des zwanzigstens Jahrhunderts, und zwar auf einem vergleichsweise bevorzugten wirtschaftlichen Niveau; er braucht keine ausgezeichneten Reflexe oder eine Nachtsicht wie eine Eule. Deshalb ist seine Integrität als ein Wesen mit Bewußtsein durch die von mir vorgenommenen Veränderungen weniger beeinflußt, als es von vornherein schon durch die bloße Entscheidung, auf der Erde zu bleiben, der Fall war.
Zweitens, wenn irgend etwas Linter davon überzeugen kann, daß wir die Guten sind, dann ist es ein anständiges und vernünftiges Verhalten unsererseits, selbst wenn es sich nicht auszahlen sollte. Ihn unter Druck zu setzen, nur weil er sich nicht so verhält, wie es mir gefällt oder wie es irgend jemandem von uns gefällt, würde bedeuten, in ihm den Gedanken nur noch zu verstärken, daß die Erde seine Heimat, die Menschen seine Gattung seien.
Drittens – und dieser Grund wäre allein schon ausreichend –, was ist unser vordringlichstes Anliegen, Sma? Was bedeutet die Kultur? Woran glauben wir, auch wenn das kaum je ausgesprochen wird, auch wenn es uns peinlich ist, darüber zu reden? Gewiß geht es uns doch um die Freiheit, mehr als um alles andere. Eine relativistische, wandelbare Art von Freiheit, nicht gebunden an Gesetze oder einzwängende Moralvorstellungen, aber letztendlich – schon deswegen, weil sie so schwer zu erfassen und auszudrücken ist – eine
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