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Ein Geschenk der Kultur

Ein Geschenk der Kultur

Titel: Ein Geschenk der Kultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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überzeugt; er sah mich nicht an und hielt den Kopf hoch erhoben, während wir die Straße entlang gingen. »Das glaube ich ganz und gar nicht. Ich glaube, ich werde hier sehr glücklich sein.«
    Hier glücklich sein. In dem großartigen, kalten Design und der falschen Wärme der Neonleuchtreklamen, während die Betrunkenen ihre Verpflegung in Einkaufstüten mit sich herumtrugen und die Süchtigen bettelten und die Habenichtse nach wärmeren Abzugsgittern und einem dickeren Pappkarton suchten. Es schien hier schlimmer zu sein; man sah so etwas auch in Paris und London, aber hier erschien es schlimmer. Tritt einen Schritt aus einem Laden, in den man ohne Anmeldung nicht hineinkommt, überquere, beladen mit Beute, den Gehsteig zu dem Roller, Merc oder Caddy, der am Bordstein mit brummendem Motor wartet, während die armselige, zerschundene Hülle eines menschlichen Wesens keinen Steinwurf entfernt daliegt, aber man wird nie bemerken, daß sie einen bemerken… Aber vielleicht war ich einfach zu empfindlich, unter Schock stehend; das Leben auf der Erde war nun mal ein Kampf, und die Kultur war hierfür hundertprozentig nicht zuständig. Ein Jahr war das äußerste, was man von einem von uns erwarten konnten durchzuhalten, und ich war so ziemlich am Ende meiner Widerstandskraft.
    »Es wird alles in Ordnung kommen, Sma. Ich bin sehr zuversichtlich.«
    Wenn man hier auf der Straße stürzt, werden die anderen einfach um einen herumgehen…
    »Ja, ja, sicher hast du recht.«
    »Hör mir zu!« Er blieb stehen und faßte mich am Ellbogen, um mich umzudrehen, so daß wir uns von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden. »Ich muß dir etwas sagen. Ich weiß, daß du mich deswegen wahrscheinlich nicht mögen wirst, aber es ist wichtig für mich.« Ich blickte ihm in die Augen, die sich hin und her bewegten, um abwechselnd in die meinen zu sehen. Seine Haut sah fleckiger aus, als ich sie in Erinnerung hatte; der Schmutz saß ganz tief in den Poren.
    »Ich lerne. Ich werde der römisch-katholischen Kirche beitreten. Ich habe Jesus gefunden, Diziet; ich bin gerettet. Kannst du das verstehen? Bist du mir böse? Ärgert dich das?«
    »Nein, es ärgert mich nicht«, sagte ich schwach. »Das ist großartig, Dervley. Wenn du glücklich bist, freue ich mich für dich. Meine Gratulation.«
    »Wunderbar!« Er umarmte mich. Ich wurde gegen seine Brust gedrückt; festgehalten; freigegeben. Wir gingen weiter, beschleunigten unsere Schritte. Er schien höchst zufrieden. »Verdammt, ich kann dir sagen, Dizzy, es ist schön hier, zu leben und zu wissen, daß es so viele Leute gibt, daß so viel passiert! Wenn ich morgens aufwache, muß ich eine Zeitlang nur so daliegen und mich davon überzeugen, daß ich wirklich hier bin und daß dies alles tatsächlich mir widerfährt; wirklich, so ist es. Ich gehe durch die Straße und sehe mir die Leute an, sehe sie einfach nur an! Letzte Woche wurde in dem Haus, in dem ich wohne, eine Frau getötet; kannst du dir das vorstellen? Niemand hat das geringste gehört. Ich gehe aus und fahre mit dem Bus und kaufe mir Zeitungen und sehe mir am Nachmittag alte Filme an. Gestern habe ich beobachtet, wie einem Mann gut zugeredet wurde, damit er von der Queensboro-Brücke herunterkam. Ich glaube, die Leute waren enttäuscht. Und weißt du was? Als er unten war, behauptete er, Anstreicher zu sein!« Linter schüttelte den Kopf und grinste. »He, gestern habe ich etwas Schreckliches gelesen, soll ich es dir erzählen? Ich habe gelesen, daß es manchmal wirklich komplizierte Geburten gibt, bei denen das Baby im Mutterleib festklemmt und wahrscheinlich bereits tot ist, und dann muß der Arzt in die Frau hineingreifen und den Schädel des Ungeborenen in die Hand nehmen und ihn zerquetschen, um die Mutter zu retten.
    Ist das nicht entsetzlich? Ich glaube nicht, daß ich so etwas je hätte verzeihen können, auch bevor ich Jesus gefunden habe.«
    »Warum kann man in solchen Fällen keinen Kaiserschnitt machen?«
    »Ich weiß nicht. Ich weiß nicht. Das habe ich mich auch gefragt. Weißt du, daß ich daran gedachte hatte, aufs Schiff zurückzukehren?« Er warf mir einen kurzen Blick zu und nickte. »Um zu erkunden, ob vielleicht noch jemand bleiben möchte. Ich dachte, daß andere möglicherweise meinem Beispiel folgen möchten, besonders, nachdem ich mit ihnen geredet, Gelegenheit gehabt hätte, einiges zu erklären. Ich dachte, sie könnten vielleicht einsehen, daß ich recht habe.«
    »Warum hast du es nicht getan?« Wir

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