Ein Geschenk der Kultur
darstellte.
Ich wanderte durch die Straßen, verwirrt und verängstigt. Die Willkür war nur das Antippen einer Taste meines Terminals weit von mir entfernt, bereit, Hilfe zu schicken oder mich durch eine Notbeförderung hinaufschleudern zu lassen, und trotzdem hatte ich Angst. Noch nie war ich an einem so abschreckenden Ort gewesen. Ich ging die 42. Straße hinauf und überquerte vorsichtig die Sixth Avenue, um auf ihrer anderen Seite bis zu einem ganz bestimmten Kino zu gehen.
Leute strömten heraus, unterhielten sich zu zweit oder zu mehreren, schlugen sich die Mantelkrägen hoch, entfernten sich hastig Arm in Arm, um an ein warmes Plätzchen zu gelangen, oder standen da und hielten nach einem Taxi Ausschau. Ihr Atem bildete Dunstschwaden vor ihren Mündern, und sie bewegten sich von den Lichtern des Mutterschiffs zu den Lichtern des Foyers zu den Lichtern den rauschenden Verkehrs. Linter kam als einer der letzten heraus; er wirkte dünner und blasser als in Oslo, aber aufgeweckter, schneller. Er winkte und kam auf mich zu. Er knöpfte seinen ockerfarbenen Mantel zu, dann berührte er mit den Lippen sachte meine Wange, während er nach seinen Handschuhen griff.
»Hmm. Hallo. Du bist sicher ziemlich durchgefroren. Hast du schon gegessen? Ich habe Hunger. Möchtest du etwas essen?«
»Hallo. Ich bin nicht durchgefroren. Eigentlich habe ich auch keinen richtigen Hunger, aber ich komme mit und leiste dir Gesellschaft. Wie geht es dir?«
»Prima. Ganz prima.« Er lächelte.
Er sah nicht prima aus. Er sah besser aus, als ich ihn in Erinnerung hatte, aber nach den Maßstäben einer Großstadt wirkte er etwas abgerissen und nicht gerade wohlgenährt. Dieses hastige, bissige, unter Hochdruck stehende Stadtleben hatte ihn angesteckt, schätze ich.
Er zog mich am Arm. »Komm, gehen wir ein Stück. Ich möchte mit dir reden.«
»Einverstanden.« Wir setzten uns auf dem Gehsteig in Bewegung. Ein Gewimmel und Gedrängel, all diese Schilder und Lichter und dieser Radau und Gestank, das weiße Rauschen ihres Daseins, der geschäftliche Brennpunkt der ganzen Welt. Wie konnten sie das nur aushalten? Die Streunerinnen; die offensichtlichen Irren mit starrenden Augen, die groteske Fettleibigkeit; das kalte Erbrochene auf dem Pflaster und die Blutflecken am Bordstein; und all diese vielen Schilder, diese Werbesprüche und Lichter und Bilder, aufflackernd und grell, aufdringlich und gebieterisch, verführerisch und fordernd mit einer Grammatik aus schimmerndem Gas und unbrennbarem Draht.
Dies war die Seele der Maschine, das ethnologische Epizentrum, die planetarische Ebene Null ihrer kommerziellen Energie. Ich konnte es fast spüren, es ergoß sich bebend, wie von Bomben aufgewühlte Ströme aus Glas, herab von diesen unfaßbaren Türmen aus Dunkelheit und Licht, die in den schneedunklen Himmel eindrangen.
Frieden im Nahen Osten? fragten die Zeitungen. Es wäre bessser, statt dessen Bokassas Krönung zu feiern; so etwas gibt mehr her.
»Hast du ein Terminal dabei?« fragte Linter. Er hörte sich irgendwie aufgeregt an. »Natürlich.«
»Würdest du es bitte auschalten?« sagte er. Er runzelte die Stirn. Plötzlich sah er wie ein Kind aus. »Bitte. Ich möchte nicht, daß das Schiff unser Gespräch mithört.«
Mir lag eine etwa dahingehende Bemerkung auf der Zunge, daß das Schiff jedes einzelne Haar auf seinem Kopf mit einer Wanze anzapfen könnte, aber ich verkniff sie mir. Ich schaltete die Terminal-Brosche auf Standby.
»Hast du Unheimliche Begegnungen gesehen?« fragte Linter und beugte sich nah zu mir herüber. Wir gingen in Richtung Broadway.
Ich nickte. »Das Schiff hat uns gezeigt, wie der Film gemacht wurde. Wir haben die endgültige Fassung als allererste zu sehen bekommen.«
»Ach ja, natürlich.« Menschen rempelten uns an, eingewickelt in ihre dicke Kleidung, jeder für sich isoliert. »Das Schiff hat gesagt, daß ihr bald abreisen werdet? Bist du froh, wenn du von hier wegkommst?«
»Ja, das bin ich. Ich hätte nicht gedacht, daß es so sein würde, aber ich bin es tatsächlich. Und du? Bist du froh, daß du bleibst?«
»Wie bitte?« Ein Polizeiwagen brauste vorbei, dann noch einer, Sirenen heulten. Ich wiederholte, was ich gesagt hatte. Linter nickte und lächelte mich an. Ich hatte den Eindruck, daß er aus dem Mund roch. »O ja.« Er nickte erneut. »Natürlich.«
»Ich halte dich immer noch für einen Narren, weißt du. Es wird dir leid tun.«
»Nein, das glaube ich nicht.« Er klang sehr
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