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Ein Geschenk der Kultur

Ein Geschenk der Kultur

Titel: Ein Geschenk der Kultur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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einmal zu sehen, dir Bon Voyage zu wünschen. Ich hoffe, du hast nichts dagegen. Du hast doch nichts dagegen, oder doch? Das Schiff hatte angedeutet, daß du vielleicht keine Lust hättest zu kommen, aber du hast doch nichts dagegen, oder?«
    »Nein, ich habe nichts dagegen.«
    »Gut. Gut, ich hätte mir nicht vorstellen können…« Seine Stimme verebbte. Wir gingen weiter, jeder in sein eigenes Schweigen versunken, inmitten des ständigen Hustens und Spuckens und Keuchens der Stadt.
    Ich wollte weg; ich wollte weg aus dieser Stadt und von diesem Kontinent und von diesem Planeten und aufs Schiff und hinaus aus diesem System… Aber etwas veranlaßte mich, weiter neben ihm herzugehen, zu gehen und stehenzubleiben, einen Fuß vor den anderen zu setzen, kreuz und quer und hinauf und hinunter zu marschieren, wie eins von vielen gehorsamen Maschinenteilchen, für die Bewegung konstruiert, funktionsgerecht, ungeachtet aller Dinge weiterzulaufen, immer weiter zu drücken und zu stampfen, frierend oder erhitzt oder strauchelnd, aber immer, immer in Bewegung, hinunter zum Drogenumschlagplatz oder hinauf zum Geschäftsführer der Firma oder nur als ständiges bewegliches Ziel unterwegs, beharrlich den Pfad zu verfolgen, den man kaum zu sehen braucht und der also weiterhin vom Licht angeblinkt werden konnte, die Gestürzten und Lahmen ringsum umgehend und die Zertrampelten zurücklassend. Vielleicht hatte er recht, und jeder von uns hätte mit ihm hierbleiben können, einfach im Raum der Stadt untertauchen, für immer verschwinden und niemals mehr eines Gedankens gewürdigt werden, niemals mehr einen Gedanken hegen, nur noch Befehle und Verordnungen befolgen und alles tun, was der Ort verlangt, stürzen und niemals aufhören, niemals einen neuen Halt finden; und unser Wirbeln und Winden und Schlingern während des Fallens ist genau das, was die Stadt erwartet, was der Arzt verschrieben hat…
    Linter blieb stehen. Er spähte durch ein Eisengitter in einen Laden, der Devotionalien, Weihwasserbecken und Bibeln und Bibelkommentare, Kreuze und Rosenkränze und Krippen und Krippenfiguren verkaufte. Er betrachtete alles eingehend, während ich ihn beobachtete. Er nickte zu der Schaufensterauslage hin. »All das haben wir verloren, weißt du. Ihr habt es verloren, ihr alle. Diesen Sinn für das Staunen und die Ehrfuhrt und… die Sünde. Diese Leute hier wissen, daß es immer noch Dinge gibt, die sie nicht wissen, Dinge, die immer noch schiefgehen, Dinge, die sie immer noch falsch machen können. Sie haben noch Hoffnung, weil die Möglichkeit noch besteht. Ohne die Möglichkeit des Versagens gibt es keine Hoffnung. Sie haben Hoffnung. Die Kultur hat Statistiken. Wir – sie, die Kultur, ist ihrer Sache allzu sicher, sie hat alles organisiert und ihm Griff. Wir haben das Leben im Leben erstickt, nichts bleibt mehr dem Zufall überlassen. Wenn man den Zufall des Gelingens oder Nichtgelingens im Leben ausschaltet, dann ist es kein Leben mehr, verstehst du?« Sein eingefallenes, finsteres Gesicht sah wütend und enttäuscht aus.
    »Nein, ich verstehe nicht«, erwiderte ich.
    Er fuhr sich mit einer Hand durch die Haare und schüttelte den Kopf. »Hör mal, laß uns was essen gehen, ja? Ich habe wirklich Hunger.«
    »Einverstanden. Schlag vor, wohin wir gehen sollen.«
    »Da entlang; dort gibt es etwas ganz Besonderes.« Wir setzten uns in dieselbe Richtung wie zuvor in Bewegung, kamen zur Ecke der 48. Straße und bogen dort ab. Ein eisiger Wind wehte und wirbelte Papier vom Boden auf. »Was ich sagen will, ist folgendes: Man braucht ein bestimmtes Potential an Schlechtem, sonst kann man nicht leben…, oder man kann, aber es hat keine Bedeutung. Man kann nicht den Gipfel ohne das Tal haben, kein Licht ohne Schatten… Es ist nicht so, daß es unbedingt des Schlechten bedarf, um das Gute zu haben, aber es bedarf der Möglichkeit für das Schlechte. So lehrt es die Kirche, weißt du. Das ist die Wahl, die der Mensch hat; er kann sich aussuchen, ob er gut oder schlecht sein will; Gott zwingt ihn ebensowenig, schlecht zu sein, wie Er ihn zwingt, gut zu sein. Die Wahl ist heute ebenso dem Menschen überlassen, wie sie einst Adam überlassen war. Nur in Gott liegt eine wahre Chance, den Freien Willen zu begreifen und schätzen zu können.«
    Er faßte mich am Ellbogen und steuerte mich in eine Seitengasse. Ein weißes und rotes Schild leuchtete am anderen Ende. Ich roch Essen.
    »Denk mal darüber nach. Die Kultur gibt uns scheinbar so viel,

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