Ein Geschenk von Tiffany
Händchen vorstellen konnte. Diamanten, Saphire, Rosenquarze und Koralle, das ja, aber Bosch-Bohrer? Diamantschleifmaschinen?
Anouk schloss einen Safe auf und holte mehrere längliche tabakbraune Lederrollen hervor, in die die Kostbarkeiten eingeschlagen waren. Sie legte sie auf einer breiten, mit schwarzem Samt bezogenen Schaufläche aus: eine Korallenkette an einer Lederschnur, ein Paar Türkis-Manschettenknöpfe, ein goldenes Hüftkettchen mit winzigen Rubinen, eine Kette aus dicken, unbearbeiteten, mit Seil umwickelten Bernsteinen.
Es klopfte. »Gerade rechtzeitig«, sagte Anouk und warf Cassie einen Blick mit hochgezogenen Augenbrauen zu, als wollte sie sagen: »Wappne dich!« Sie ging zur Tür und machte auf. Herein trat die Frau, die Cassie tatsächlich vor Augen gehabt hatte. Anouk grüßte sie herzlich, aber förmlich. Der Frau folgte ein sehr großer, sehr schlanker Mann in einem Anzug. Er war unglaublich attraktiv – fast wie ein Fotomodell –, hatte kurze, beinahe schwarze Haare, breite Wangenknochen und ein schmales Kinn.
»Eduardo Escaliente. Enchanté, madame .« Er küsste Anouks Hand und musterte sie ein klein wenig aufdringlicher, als es schicklich war.
Cassie, die abwartend neben dem Werktisch stand, fragte sich plötzlich, ob sie nicht lieber gehen sollte. Katrina Holland hielt dies sicher für einen Privattermin.
»Und wer ist das?«, fragte sie auch schon und starrte Cassie an. Eduardo fing auch an zu glotzen, was Cassie fürchterlich in Verlegenheit brachte. Prompt bekam sie rote Backen.
»Darf ich Ihnen Cassie Fraser aus der Marketingabteilung von Dior vorstellen? Wir waren gerade dabei, ein paar Dinge für die anstehenden Schauen durchzugehen. Cassie, das ist Ms Holland und Señor Escaliente.«
Cassie gab ihnen höflich die Hand.
Katrina hielt die ihre fest und starrte sie fast unhöflich an. »Sie arbeiten also bei Dior? Wie läuft es dort in den Ateliers?«
Cassie war der zornige Unterton nicht entgangen. »Äh, ja, wir sind alle sehr beschäftigt«, bluffte sie. Sie fing erst morgen an, konnte also auf nichts weiter zugreifen als auf ihre Erfahrungen mit Bebe und dem Chaos kurz vor ihrer Schau. »Werden Sie auch kommen, madame ?«
»Ich gehe nur zu Valentino und Chanel«, entgegnete Katrina brüsk.
»Ach ja? Ich dachte, Anouk hätte gesagt, Sie wären ihr von Dior empfohlen …«
»Ursprünglich schon«, unterbrach Anouk hastig, »aber dann kam es zu diesem, äh, Versehen im Elyséepalast.«
»Man hatte mir versichert, ich sei die Einzige, die dieses Kleid bestellt hat«, sagte Katrina mit gepresster Stimme und hochgereckter Nase. »Und so war es auch. Aber Madame Sarkozy hatte sich das Vorführmodell ausgeliehen.« Sie spitzte die Lippen. »Seitdem habe ich nie wieder etwas bei Dior gekauft.«
»Tut mir leid, das zu hören«, sagte Cassie todernst. Anouk hatte diskret die Augen geweitet, ein Hinweis auf einen raschen Themawechsel (in der Schule hatten sie das auch immer getan, wenn sie Zettelchen austauschten und der Lehrer auf sie aufmerksam geworden war). »Sicher bedauert man dort diesen Fehler zutiefst.«
»Ich bin überrascht, dass Sie das noch gar nicht wussten«, sagte Katrina hochmütig. »Ich dachte, alle Dior-Angestellten wüssten, wer ihre wichtigsten ehemaligen Klienten waren.«
»Ach, Cassie ist neu in Paris«, lächelte Anouk, »sie ist gestern erst aus New York eingetroffen.«
Katrina schaute Cassie erstaunt an. »Ach, tatsächlich? Aus New York?«
»Ja. Wenn Sie mich entschuldigen würden? Dann lasse ich Sie jetzt allein, damit Sie sich in Ruhe die Schmuckstücke ansehen können.« Cassie beeilte sich, ihren Worten die Tat folgen zu lassen. »Freut mich sehr, Sie kennengelernt zu haben, Ms Holland, Señor Escaliente. À bientôt , Anouk.«
Anouk brachte sie zur Tür und steckte ihr heimlich ihren Hausschlüssel zu. Wieder unten auf der Straße holte Cassie ihr Handy aus der Tasche. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand ein Fahrrad, das an ein Regenrohr gekettet war. Ein herumstreunender Hund hob gerade das Bein und pinkelte ans Hinterrad. Cassie wählte Lukes Nummer.
Kein Anschluss unter dieser Nummer … Kein Anschluss unter dieser Nummer …
Sie legte auf. Die Botschaft war klar und deutlich.
23. Kapitel
Cassie legte ihre Tasche in den Lenkradkorb, hob das Bein über den Sattel und schaute erst mal rechts und links. Beim ersten Mal, als sie losradelte, wäre sie beinahe von einem Zweiundneunzigjährigen in einem Fiat 500 überfahren
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