Ein Geschenk von Tiffany
worden, aber jetzt war es ja schon siebzehn Uhr dreißig, jene himmlische Tageszeit, in der sich die Pariser »Liebesangelegenheiten« widmeten und die Straßen relativ verlassen dalagen. Außerdem hatte sie es ja nicht weit – der Blumenmarkt lag gleich auf der anderen Brückenseite. Sie radelte gerne, vor allem hier, in dieser Stadt. Der Korb war auch praktisch, da konnte sie die Blumen reintun. Wenn sie sie halten und radeln hätte müssen, hätte sie kaum gesehen, wo sie hinfuhr.
Sie war nun seit zwei Wochen hier und hatte unter anderem gelernt, dass man sich mit passendem BH- und Höschen-Set tatsächlich besser fühlte; dass Rotwein gegen Liebeskummer half (oder war das gegen Herzkrankheiten?); dass eine wöchentliche Gesichtsmaske wichtiger war als der wöchentliche Friseurbesuch; dass Joggen schlecht für die Gesundheit ist, das Hamam dagegen gut – und dass opulente Blumenarrangements zum absoluten Muss einer zivilisierten Gesellschaft gehörten. Und heute Abend wollte sie ganz besonders zivilisiert sein. Heute Abend fand ihre offizielle »Coming-out-Party« statt: Sie würde Anouks Freundeskreis vorgestellt werden.
In den letzten zwei Wochen waren die beiden immer zuhause geblieben und hatten sich ein ruhiges Abendessen gemacht. Cassie war nicht nach Ausgehen zumute gewesen und auch nicht danach, eine ganze Menge neuer Leute kennenzulernen, nachdem sie gerade so lieb gewonnene hatte verlassen müssen. Nicht zu unterschätzen war auch die Wirkung, die Lukes Telefonnummernwechsel bei ihr hinterlassen hatte. All die alten Gefühle von Unsicherheit und Unzulänglichkeit, die sie im Zuge ihrer Trennung von Gil durchlitten hatte, waren wieder aufgeflammt.
Anouk hatte sofortige Gegenmaßnahmen eingeleitet. Ohne zu zögern enthüllte sie Cassie all ihre streng gehüteten Beauty-Tipps. Brünett zu werden war, wie sich herausstellte, nur der Anfang. Cassie fühlte sich wie Eliza Doolittle, das Blumenmädchen, aus dem eine feine Lady gemacht wurde. Jetzt hieß es umlernen, zum Beispiel, nie vor zwanzig Uhr Lippenstift zu benutzen – das glatte Gegenteil von Kellys Doktrin also –, immer lackierte Fingernägel, lieber ein markanter Schal oder eine Kette als eine modische Handtasche und immer, immer seidene Unterwäsche und keine Sport-BHs.
Und es funktionierte. Cassie begann besser auszusehen und sich folglich besser zu fühlen. Da sie nicht mehr im Morgengrauen aufstehen und joggen gehen musste, schimmerte ihre Haut. Und obwohl Anouk Kohlenhydrate nicht direkt verbot, so hielt sich Cassie meist freiwillig an die proteinreiche Ernährung, die Anouk bevorzugte und die trotz geringer Mengen weit mehr sättigte als die New-Yorker-Diät. Und da Cassie nun nicht mehr andauernd Hunger hatte, machte es ihr auch nichts aus. Ihre Haare schimmerten ebenfalls, weil sie mit diversen Packungen und Vitaminen verwöhnt wurden. Und weil sie nicht ständig geföhnt und getönt wurden (sorry, Bas). Tatsächlich war der Unterschied derart krass, dass Cassie sich nicht traute, mit ihren Freundinnen zu skypen. Sie gab vor, dass Anouks Verbindung gestört war, und telefonierte stattdessen.
Sie radelte über die Verbindungsbrücke zwischen den Inseln und fragte sich dabei, was sie am besten einkaufen sollte. In der Markthalle angekommen wurde sie beinahe erschlagen von der Vielfalt an Pfingstrosen in allen Schattierungen von Rosa über Lila und Rot. Aber die hatten noch keine Saison. Wahrscheinlich waren sie per Flugzeug eingeflogen worden. Nein, Cassie wollte sich lieber mit ein paar frühen Narzissen begnügen.
Langsam fuhr sie den Quai aux Fleurs entlang, vorbei an den mit blauen Plastikplanen gedeckten Ständen. Der Boden war hier permanent feucht von umgekippten Blumeneimern. Sie bog in einen Gang ab und schwang ihr Bein über den Sattel. Mit einem Fuß auf dem Pedal rollte sie zwischen den Ständen entlang und begutachtete die Fülle von Rosen, Lilien, Tulpen und frühen Narzissen, die mit provokativ vorgebeugten Köpfen die Kundschaft anlockten wie die grell geschminkten Pantomimen am Pigalle.
Ihr Blick blieb schließlich an einem Eimer voll langstieliger Rosen in Zitronengelb und Cremeweiß hängen. Sie suchte den restlichen Stand nach etwas ab, das dazu passte. Ja, da stand zwischen zwei Eimern voller Tulpen ein dichter Strauß noch unberührten Flieders. Sie kaufte zwei Dutzend Rosen und die gleiche Menge Flieder. Dann verstaute sie alles in ihrem Lenkradkorb. Die Rosen waren allerdings so langstielig, dass sie
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