Ein Geschenk von Tiffany
gleiche Leben. Anouk war anders – äußerst unabhängig. Sie hatte ihr Leben in streng getrennte Bereiche aufgeteilt. Sie hatte Cassie zwar einen Job besorgt, aber bei jemand anders, weil sie lieber allein arbeitete. Und obwohl die Dinge zwischen Pierre und ihr ziemlich leidenschaftlich zu sein schienen, sahen sie sich immer nur zu ganz bestimmten Zeiten. Nie nach acht Uhr abends, zum Beispiel. Abgesehen von ihrer Dinnerparty damals kam er nie in ihre Wohnung, geschweige denn, dass er mal über Nacht blieb.
Aber obwohl sich ihre Tagesabläufe bestenfalls streiften – anstatt sich perfekt zu überlappen, wie mit Kelly –, hatte Cassie das Gefühl, Anouk näherzustehen als sonst jemandem. Sie liebte es, abends für sie beide zu kochen. Anouk saß dann meist auf der Anrichte und schenkte Wein nach, während draußen die Lichter der Stadt angingen. Dennoch war da diese genau definierte Grenze, die zu überschreiten unmöglich zu sein schien. Ihre Gespräche blieben oberflächlich, ihre gemeinsamen Aktivitäten waren auf die Schönheitspflege beschränkt – das Hamam, Maniküre, Peeling, Friseur. Sie war jetzt seit sechs Wochen in Paris, und sie hätte das nie gedacht – sie hatte Anouk immer für die glamouröseste Person gehalten, die sie kannte –, aber sie begann das Leben hier allmählich als … eng zu empfinden.
»Frag ihn doch, ob er zum Essen vorbeikommen will«, schlug Cassie vor. Vielleicht wurde es ja Zeit, ein wenig aus ihrem Schubladendenken herauszukommen. »Ich würde ihn gerne besser kennenlernen, und ich könnte für euch beide was kochen. Ich wollte sowieso gern ausprobieren, was ich bei Claude gelernt habe. Ihr könntet meine Versuchskaninchen sein.«
Anouk wandte den Blick ab. »Er ist diese Woche nicht da. Kommt erst morgen wieder.«
»Dann morgen Abend?«
»Er wird müde von der Reise sein.«
»Ach so, ja.« Cassie hatte kapiert. Anouk wollte nicht, dass sie am Status quo rüttelte. Obwohl Anouk ganz offensichtlich unglücklich und angespannt war, musste alles bleiben, wie es war.
Bas stach aus der Menge wie eine Giraffe aus einer Nilpferdherde, wie ein Grubenarbeiter im frisch gefallenen Schnee. Cassie rannte zu ihm hin und fiel ihm um den Hals. Er ließ seinen Koffer los und drückte sie ebenso fest an sich wie sie ihn. Erst jetzt merkte sie, wie sehr sie ihn vermisst hatte, vor allem die Art, wie er sie sofort von allen Seiten begutachtete, um die »Haarsituation« einzuschätzen. Auf Cassies Bitte hin hatte Kelly ihn auf die Neuerungen vorbereitet, in der Hoffnung, den Schlag ein wenig zu dämpfen. Anouk hatte natürlich als Sündenbock herhalten müssen.
»Guter Schnitt, bessere Verfassung«, sagte er fachmännisch. Die anderen Fluggäste hetzten rechts und links an ihnen vorbei; jeder wollte der Erste am Taxistand sein. »Toller Glanz. Das kriegt man nicht mit Blond. Siehst richtig chic aus.« Er trat einen Schritt zurück und musterte sie kritisch. »Aber das bist nicht du.«
»Willst du damit sagen, dass ich kein schicker Typ bin?«, fragte Cassie gespielt empört. Bas nahm seinen Koffer, und sie machten sich, untergehakt, auf den Weg zum Ausgang.
»Na ja«, grübelte er, »das ist nicht mehr mein süßes, albernes Was-soll-ich-bloß-anziehen-Mädchen.«
Cassie lachte.
Er sah voller Zuneigung auf sie herab. »Du siehst so … so europäisch aus. Richtig erwachsen. Als ob du einen Mann allein mit der Art verführen könntest, wie du deinen Schal löst.«
Sie verließen die Flughalle und gingen direkt zu dem Taxi, das Cassie mit laufendem Taxameter hatte warten lassen. Es fädelte sich durch Seitenstraßen zum Crillon-Hotel, wo Bas eine Woche lang übernachten würde – der Fashion-Zirkus war endlich in Paris angekommen, nachdem er die üblichen Stationen – New York/London/Mailand – hinter sich gebracht hatte. Es war keine Luxussuite oder so was, aber ein luxuriöses Zimmer mit Blick auf den Eiffelturm.
Bas war von Valentino gebucht worden, von Chanel, Sonia Rykiel, Isabel Marant, Balenciaga, Chloé und Vanessa Bruno, was bedeutete, dass er sich ein gutes Zimmer leisten konnte, aber wahrscheinlich auch kaum eine freie Minute haben würde. Cassie fragte sich jetzt schon, wie oft sie ihn überhaupt zu Gesicht kriegen würde. Wenn er nicht direkt auf einer Schau war – die alle unweigerlich mit einer Verspätung von einer Stunde und fünfundvierzig Minuten beginnen würden –, würde er bis spät in die Nacht in den jeweiligen Modehäusern zubringen, um den Look für
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