Ein Geschenk von Tiffany
aufgehört? Wie kann man aufhören, ein Sternekoch zu sein?« Cassie schüttelte den Kopf – dieser Mann ein Meisterkoch? Er sah eher aus wie ein Preisboxer.
»Vor drei Jahren hat er einfach dichtgemacht. Hat alle entlassen. Hat seitdem keine Profiküche mehr betreten. Jetzt macht er nur noch manchmal Kurse, wenn er das Geld braucht …« Die Frau machte eine wegwerfende Bewegung. Sie beugte sich vor und flüsterte Cassie zu: »Er leidet unter Melancholie.« Sie lächelte, und ihr Gesicht warf unzählige Fältchen. »Aber Sie haben Glück. Er nimmt nicht viele Schüler. Er muss Sie mögen.«
Cassie schüttelte den Kopf. »Nein, er mag mich bestimmt nicht. Er mag einen Freund von mir.«
Weiter hinten begann eine Kundin ungehalten, selbst Äpfel in eine Tüte zu tun. Die Alte eilte davon, um sie zu bedienen. Cassie ging weiter, ihre volle Tüte an sich gedrückt. Sie hatte genug Folgen von MasterChef gesehen, um zu wissen, dass es in einer Profiküche zuging wie beim Militär: eine streng geregelte Hierarchie. Und sie war nicht nur eine Dreiviertelstunde zu spät gekommen – mit einem Brummschädel –, sie war auch noch patzig geworden. Nicht gerade das, was man einen verheißungsvollen Beginn nennen konnte.
Cassie kaute nachdenklich an ihrer Unterlippe. Was tun? Ob die Situation noch zu retten war? Entschlossen holte sie ihren laminierten Einkaufszettel hervor.
Es wurde Zeit, ein wenig verlorenen Boden gutzumachen.
Sie war als Erste wieder beim Treffpunkt. Mit vollen Tüten und großen Augen wartete sie auf den Meisterkoch. Sie hoffte, dass Claude vor den anderen auftauchte – das, was sie tun musste, tat sie lieber ohne Publikum. Sie sah sich suchend um. Noch keine Spur von den anderen, aber Claude trat soeben aus einer Crêperie auf der anderen Straßenseite. Es war seine zusammengesunkene Körperhaltung, die ihre Aufmerksamkeit erregte. Er blickte auf und sah sie. Etwas wie Enttäuschung huschte über sein Gesicht. Da erkannte Cassie, dass sie nicht die Einzige war, die gehofft hatte, sie würde auf Nimmerwiedersehen abhauen.
Sichtlich widerwillig überquerte er die Straße und trat auf sie zu. Er warf einen Blick auf seine Uhr und setzte sein übliches mürrisches Gesicht auf.
Sie holte tief Luft.
»Ich wollte mich entschuldigen«, sagte sie rasch zu ihm. »Es war ein Missverständnis – meinerseits. Mir war nicht klar, was wir heute tun würden. Als Sie Mittagessen erwähnten, dachte ich – na ja, ich dachte nicht, dass wir das Essen tatsächlich selbst kochen würden. Ich dachte, Sie wären ein Freund von Henry, der mir Paris zeigen will.«
Claude starrte sie grimmig an.
Weiter hinten tauchten bereits andere aus ihrer Gruppe auf. Nervös redete sie weiter. »Er hat mir nicht mal Ihren Nachnamen genannt, ich wusste nicht, dass Sie … sind, wer Sie sind.« Sie hüstelte verlegen. »Jedenfalls, es tut mir leid. Das wollte ich bloß sagen.«
Claude machte sich nicht die Mühe zu antworten. Seine feindselige Körperhaltung verriet, dass er keineswegs besänftigt war. Ob er ihr überhaupt zugehört hatte? Schweigend standen sie nebeneinander, während die anderen einer nach dem anderen auftauchten, alle mit vollen Taschen. Als schließlich auch die beiden Japanerinnen mit strahlenden Gesichtern und doppelt so vielen Tüten auftauchten – aus einer hing ein gestreifter Pulliärmel, offenbar war hier irregulär geshoppt worden –, klatschte Claude in die Pranken und trieb sie zurück zu der ursprünglichen Adresse.
In dem eher heruntergekommenen Gebäude verbarg sich eine helle elegante Küche mit hoher Decke, einem gefliesten Boden und einer ellenlangen Theke, die die ganze Länge des Raums einnahm. Auf dieser Theke lagen in regelmäßigen Abständen Hackbretter, daneben scharfe Global-Messer. Cassies Blick fiel auf den prächtigen roten Lacanche-Herd, und ihr Kater löste sich endgültig auf. Das war kein kleiner Touristenkochkurs – ihr Blick huschte über blitzende Töpfe mit dicken Messingböden, über diamantgeschärfte Messer –, alles hier war von höchster Qualität. Als befände man sich in einer Profiküche und draußen warteten die Gäste. Beschämt dachte sie an ihren oft geträumten, aber nie verwirklichten Traum von einer eigenen Kochschule für die Frauen aus Gils Jagdgesellschaft.
Claude knöpfte seine weiße Chefkochjacke zu. Die anderen suchten sich einen Platz vor einem der Hackbretter und packten ihre Tüten aus. Mit scharfem Blick und missbilligendem Zungenschnalzen ging
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