Ein Geschenk von Tiffany
Baskenmütze, Kamelhaar-Mantel mit Gürtel – halfen ihr dabei, ihre aufkeimende Panik zu verstecken. Es war drei Uhr nachmittags in der letzten Februarwoche, und sie hatte immer noch keinen Veranstaltungsort gefunden. Nur noch sieben Wochen bis zur Party. An die Gästeliste wurde bereits der Feinschliff angelegt: Rücksichtslos wurde gestrichen, bis nur noch die wirklich wichtigen Leute, die mit dem großen Geld, übrig waren. Aber erst, wenn man wusste, wo die Party nun eigentlich stattfand, konnte man entscheiden, wie viele man einladen konnte – zu wenige an einem zu großen Ort war ebenso schlimm, wenn nicht schlimmer, wie zu viele an einem zu kleinen. Außerdem musste die Druckerei allmählich wissen, welche Adresse auf die Einladung kommen würde.
Cassie hatte Florence zahlreiche Vorschläge gemacht, alles hervorragende Adressen, die meisten davon von Suzys Liste – aber alle waren als »nicht außergewöhnlich genug« abgelehnt worden. Nicht, dass Cassies – oder besser gesagt, Suzys – Vorschläge nicht schön genug oder geräumig genug oder geschichtsträchtig genug gewesen wären, es fehlte ihnen einfach das gewisse Etwas, um eine verwöhnte Klientel, die allein zweimal im Jahr eine halbe Million Euro nur für Kleidung ausgab, zu befriedigen. Für die war ein Château nichts Besonderes. Der Eiffelturm? Hübsches Gartenornament.
»Es ist so, Cassie«, hatte Florence zu erklären versucht, »wir wollen mit dieser Party honorieren, was Monsieur Westley für die Firma getan hat. Es geht nicht um Tradition und Formen, um die alten Werte von Dior. Monsieur Westley, er ist ein Rebell. Man hat ihn den Bad Boy of Fashion genannt. Und unsere Kunden, sie lieben das. Sie mögen die Aufregung, den Thrill, wenn er Regeln bricht. Die meisten unserer Kunden sind gezwungen, einen gewissen Anschein zu wahren, ein gewisses Auftreten. Aber Monsieur Westley, er kann diese Steifheit unterlaufen, kann aus der ganzen Aufgeblasenheit ein bisschen die Luft rauslassen. Er bringt ein bisschen Punk in die Haute Couture – und genau das müssen wir auch bei dieser Party.«
Cassie hatte begeistert genickt, als würde das alles erklären und der geeignete Ort würde ihr auf wundersame Weise erscheinen. Jetzt, zwei Wochen später, stand sie noch immer mit leeren Händen da. Das Gebäude, das sie sich gerade angeschaut hatte, ein umgebautes Gefängnis, war ironischerweise nicht mehr geeignet, weil es jetzt zu luxuriös war. Es war ihr letzter Ausweg vor dem entscheidenden Meeting, das morgen stattfinden würde, gewesen.
Cassie bog um eine Ecke. Sobald sie sicher war, dass sie außer Sicht war, ließ sie die Schultern hängen. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt schlurfte sie dahin, und ihre Handtasche schlug ihr dabei gegen die Kniekehlen. Sie blies die Backen auf und ließ sich auf die nächstbeste Bank sinken, die Füße ein wenig gespreizt, die Knie zusammengelegt. Tief im Herzen wusste sie, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als mit der Wahrheit herauszurücken. Sie hatte Suzy gefragt, sie hatte Anouk gefragt, ja sogar Bas war wochenlang in ganz Paris herumgeradelt, hatte sämtliche halbwegs interessanten Gebäude fotografiert, etliche davon besichtigt. Ohne Erfolg. Jetzt war sie mit ihrem Latein am Ende.
Trübe wanderte ihr Blick an der weitläufigen Esplanade entlang. Selbst an diesem grauen Tag – die Sonne hatte sich krankgemeldet – flitzten Rollerblader vorbei und spielten ältere Herren unter den Bäumen Pétanque. Auf den Stufen tollten Schüler in Schuluniformen und Baseballkappen herum, fotografierten sich gegenseitig und machten Hasenohren. Alle zwanzig Meter boten fliegende Händler ihren Tand an: kitschige Schneekugeln mit dem Arc de Triomphe oder kleine Nachbildungen von Notre-Dame.
Rasch wandte sie ihren Blick ab, um sie nicht auf sich aufmerksam zu machen. Da entdeckte sie einen Mann, der schräg gegenüber auf einer Bank saß. Trübsinnig starrte er auf den Boden vor seinen Füßen und rührte sich nicht. Als wäre er aus Stein gemeißelt. Den Lärm und das bunte Treiben auf dem Platz schien er überhaupt nicht wahrzunehmen, ja, er schien nicht mal zu blinzeln.
Cassie zögerte unschlüssig. Sollte sie hingehen? Sie wusste aus bitterer Erfahrung, wie grob er manchmal sein konnte. Aber etwas veranlasste sie, aufzustehen und zu ihm hinzugehen.
»Claude?«
Langsam, beinahe desorientiert, als habe er seinen Namen lange nicht mehr gehört, sah er auf.
»Hallo!«, sagte sie lächelnd. »Ich bin
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