Ein Geschenk von Tiffany
viel zu klein aus, um einen solchen Bären von Mann zu transportieren, doch er reichte Cassie einen Helm, und sie schwang sich hinter ihn auf den Sitz. Er war so breit, dass sie es nicht schaffte, seine Brust zu umfassen.
Er fuhr langsam, aber achtlos, scherte sich weder um Einbahnstraßen noch um Fußgänger, die die Straße nicht schnell genug überquerten. Zehn Minuten später parkte er den Roller vor einem grünen Laden, an der Ecke Rue Bonaparte. Im Schaufenster stapelten sich kleine Schächtelchen, die aussahen, als ob darin handgemachte Seifen verkauft wurden. Die Schachteln waren in allen Pastellfarben: Babyrosa, Pfefferminzgrün, Himmelblau, mit gelben Küken und Häschen darauf, fröhliche Motive, die ein wenig Farbe in den trüben Tag brachten. Als sie näher hinschaute, sah sie, dass es keine Duftseifen waren.
Claude führte sie unter dem Scheppern der Ladenklingel hinein. Es war eine Pâtisserie – und was für eine! In Glaskabinetten, die aussahen, als stammten sie aus einer alten Apotheke, lagen, nach Farben geordnet, endlose Reihen von kleinen runden glasierten Plätzchen. An der Wand dahinter hingen dicke Rollen seidenes Geschenkband in Rosa und Pfefferminz und flatterten sanft in der Brise, die die hereinkommende Kundschaft verursachte.
Er führte sie durch den Laden, vorbei an atemberaubenden Türmen aus diesem Gebäck, grünglasiert oder mit Schokolade überzogen, hinein in ein kleines Café. Ein Barocklüster warf warmes Licht in die Düsternis. Sie nahmen auf einem blauen Samtsofa Platz. Claude bestellte für sie beide, ohne einen Blick in die Karte zu werfen. Nach der Geschwindigkeit und der Ehrerbietung zu schließen, mit der die Kellnerin reagierte, schien Claude hier bekannt zu sein.
»Wo sind wir denn hier?«, fragte sie begeistert. Sie schlüpfte aus ihrem Kamelhaarmantel, nahm die Baskenmütze ab und schüttelte ihre Haare. »Das ist ja unglaublich!«
»Im Ladurée.« Er sagte es mit demselben Nachdruck, mit dem er bei ihrer ersten Begegnung »ich bin Claude« gesagt hatte.
»Das Ladurée? Davon hab ich schon gehört.«
»Das will ich auch hoffen! Hier gibt’s die leckersten Macarons in ganz Frankreich.« Er küsste seine zusammengelegten Finger. »Wer nicht hier gewesen ist, weiß nichts über die französische Backkunst.«
Und schon kam die Bedienung wieder herbeigeeilt. Sie stellte eine Kanne Jasmintee und eine Etagere vor sie hin. Macarons in allen Farben lagen darauf: Pistaziengrün, Himbeerrot, Rosenrot, Veilchenblau, Orangenblüte und Crème Anglaise.
Cassie riss entzückt die Augen auf.
»Los, probier eins«, forderte Claude sie auf und schob ihr den Kuchenständer hin.
Sie nahm sich eins und biss hinein. Der Teig war so leicht und locker, es schmeckte, als würde man in eine Wolke beißen. Und die Füllung – die Füllung war so intensiv, dass sie die Augen schließen musste. »Ich komme mir vor wie Marie Antoinette«, schwärmte sie.
Claude lächelte mit seinen Augen. »Die werden wir als Nächstes machen«, versprach er. Er nahm ein Macaron und hielt es hoch, als wäre es ein Diamant. Mit gesenkter Stimme sagte er: »Es gibt dabei zwei Geheimnisse: Erstens bäckt man sie auf doppelten Blechen, und zweitens lässt man den Teig so aufgehen, dass sich die Öffnung für die Füllung noch vor dem Backen bildet.«
Cassie schmatzte anerkennend. »Mann, sind die gut!« Sie wischte sich die Hände an ihrer Serviette ab. Suzy durfte sie diesen Ort nie zeigen. Die konnte ja schon einem Cupcake nicht widerstehen, geschweige denn diesen herrlichen Macarons!
»Na, wenigstens weiß ich jetzt, was Henry gemeint hat. Er hat geschrieben, ich soll gewohnheitsmäßig hierherkommen.« Sie nahm einen Schluck Tee und suchte sich dann ein Macaron mit Orangenblütenglasur aus. Sie seufzte selig. Man wurde schon vom Ansehen der Dinger glücklich. »Das ist mal eine von Henrys Ideen, die ich gerne befolge.«
Und sie biss in das Macaron.
Claude schaute ihr zu.
»Er muss ein guter Freund sein.«
»Wer?« Cassie musste sich die Hand vor den Mund halten. Sie schluckte ihren Bissen rasch herunter. »Henry?«
»Ja.«
»Na ja, eigentlich ist er ja der Bruder meiner Freundin. Ich hatte ihn seit zehn Jahren nicht mehr gesehen.«
»Aber er hat trotzdem diese Liste für dich gemacht.«
»Na ja, weil er ziemlich rumkommt, oder? Henry kommt an Orte, an die kaum einer kommt. Ich glaube, er konnte sich einfach nicht vorstellen, wie man in eine Stadt fahren und sie nicht kennenlernen
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