Ein Geschenk von Tiffany
Entschuldigung! Außerdem kann ich mich jetzt wirklich nicht darum kümmern! Bei Suzy haben die Wehen eingesetzt, und ich muss einen Arzt holen. Tschüss!«
Sie hängte auf. In diesem Moment kam ein Auto über den Viehrost gerattert. Cassie winkte lächelnd aus dem Wagenfenster.
»Ach Gott sei Dank, da bist du ja!«, rief Kelly dramatisch aus. Sie riss ihre Freundin an sich, kaum dass sie ausgestiegen war.
»Was ist denn? Ist was passiert?«, fragte Cassie erschrocken.
»Du bist die letzte Brautjungfer, die noch übrig ist«, klagte Kelly, »bei Suzy haben die Wehen eingesetzt. Und ich kann Hattie nirgends finden! Die reinste Katastrophe!«
Abermals klapperte das Viehgitter. Die beiden drehten sich um und sahen einen tomatenroten Mini die Auffahrt entlang auf sie zusausen. Kiesspritzend blieb er vor dem Haus stehen.
Sie schauten zu, wie Henry sich aus dem Wagen faltete und seinen Nacken mit einem Knacks wieder einrasten ließ. Er trug Jeans und ein rosagestreiftes Polohemd. Cassies Magen krampfte sich bei seinem Anblick zusammen. Sie musste andauernd an diesen Kuss denken, strich sich gedankenlos über die Lippen, wenn sie es tat. Okay, er hatte mal wieder die Beine in die Hand genommen und war davongerannt, aber es war ein unwiderlegbarer Beweis dafür, dass da etwas zwischen ihnen war. Das konnte selbst er nicht mehr verleugnen.
Er nahm eine Reisetasche vom Beifahrersitz. Cassie schluckte. Sie wartete auf diesen Ausdruck in seinen Augen, der ihr bestätigte, was sie fühlte.
Doch Henry kam mit einem grimmigen Gesichtsausdruck auf sie zu, Cassie schaute er gar nicht an. Sie spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich.
»Hallo, Henry«, sagte Kelly und verfolgte verblüfft, wie er an ihr vorbei direkt auf die Haustür zuging.
»Ja, grüß dich, Kelly«, knurrte er, »gratuliere zur Hochzeit morgen.«
Stille, während die beiden Frauen ihm nachschauten, wie er im Haus verschwand.
»Was sollte das denn?«, zischte Kelly. »So hab ich ihn ja noch nie erlebt!«
Cassies Kehle war wie zugeschnürt.
47. Kapitel
Rastlos und nervös rannten sie im Wartezimmer auf und ab wie Laborratten im Käfig.
»Es sind jetzt schon fünf Stunden«, rief Kelly aufgebracht aus, »wieso dauert das denn so lang?!«
Cassie warf ihr einen ungläubigen Blick zu. »Hallo? Hast du ihren Bauch gesehen? Also, ich hätte auch Hemmungen, wenn ich ein Baby von der Größe rausdrücken müsste …«
»Archie hat richtig grün ausgesehen, hast du’s bemerkt?«
»So sehen die Männer immer aus«, sagte Cassie lakonisch und ließ sich auf einen harten blauen Plastikstuhl fallen.
Henry, der in einer National Geographic blätterte und dabei die Seiten mit Artikeln über Gegenden, in denen er bereits gewesen war, umknickte, hob den Kopf und warf ihr einen kalten Blick zu, der Cassie unwillkürlich erschaudern ließ. Dann senkte er den Kopf und widmete sich wieder seiner Zeitschrift.
Cassie sah unauffällig zu Kelly, um sicherzugehen, dass sie das nicht mitbekommen hatte. Aber Kelly drosch gerade auf einen Getränkeautomaten ein: Eine Coladose war im Ausgabeschacht hängen geblieben. Cassie schaute wieder zu Henry hin. Der blätterte mit hochroten Wangen und einem wahren Laserblick in der Zeitschrift. Cassie erwartete fast, dass das Papier in Flammen aufging. Was war bloß los mit ihm? Sie begriff es einfach nicht. Kaum zu glauben, dass es erst zwei Tage her war, dass sie in dem Teich miteinander geschwommen waren, dass er sie an sich gedrückt, sie seinen warmen Atem an ihrem Ohr gespürt hatte. Und dann dieser Kuss, dieser Kuss … mit ziemlicher Sicherheit der beste Kuss ihres Lebens. Und er hatte angefangen. Nicht sie. Er war verlobt. Nicht sie. Warum war er dann so sauer?
Sie hörte, wie Kelly es mit der Cola aufgab und wieder herkam.
»Du siehst müde aus«, sagte sie zu Cassie, als würde es ihr jetzt zum ersten Mal auffallen.
»Ja?«
»Ja.« Kelly setzte sich mit einem müden Seufzer auf den Plastikstuhl daneben. So hatte sie sich ihren letzten Abend vor ihrer Hochzeit nicht vorgestellt.
Sie schwiegen. Cassie versuchte Henry nicht anzuschauen, was ihr ziemlich schwerfiel. Immerhin fiel ihr auf, dass der Lack an ihren Fußnägeln schon absplitterte. Beschämt schob sie die Füße unter den Stuhl, damit Kelly nichts bemerkte. Sie hatte keine richtige Pediküre mehr gehabt, seit sie Paris verlassen hatte. Der Knebelgriff von Kellys und Anouks rigidem Schönheitsprogramm begann sich bedrohlich zu lockern. Wenn sie nicht
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