Ein Geschenk von Tiffany
ihr fast neurotischer Schönheits- und Pflegewahn, das fast pathologische Bedürfnis, jeden Mann, dem sie begegnete, verführen zu müssen. Zum ersten Mal sah Cassie den Schmerz, der sich hinter dieser Fassade verbarg, sah ihn so deutlich, als ob er Anouk ins Gesicht tätowiert wäre.
»Weiß es Florence?«
Anouk nickte. »Ich habe seitdem nichts mehr von Jacques gehört, also kann ich’s nicht sicher sagen.« Sie zuckte mit der Schulter, doch es wirkte mehr wie ein Zittern. »Ich glaube, sie hat es immer gewusst. Wir werden weiterhin höflich sein, wenn wir uns begegnen. Und natürlich wird sie ihm verzeihen.«
Cassie hob die Augenbrauen. »Natürlich«, wiederholte sie sarkastisch.
Anouk hob den Kopf. »So hab ich’s nicht gemeint … ich meine, ich wollte damit nicht sagen, dass du bei Gil hättest bleiben sollen. Ich finde es gut, dass du ihn verlassen hast.«
»Ach ja?« Cassie erinnerte sich noch gut an die ablehnenden und befremdeten Reaktionen von Anouks Freunden auf ihrer ersten Dinnerparty. Vor allem Jacques’ fast verächtliche Reaktion.
»Ja. Er war nie der Richtige für dich.«
Cassie starrte sie an. Das glaubte sie also? Dass sie Gil verlassen hatte, weil sie sich einen Besseren suchen wollte?!
»Ich hab Gil nicht verlassen, weil er nicht der Richtige war, Anouk«, rief sie aufgebracht aus. »Gott weiß, es wäre viel leichter gewesen zu bleiben. Meinen Stolz runterzuschlucken und Wiz rauszuschmeißen, so wie es mein gutes Recht gewesen wäre!«
Anouk musterte sie verwirrt. »Aber … warum hast du ihn dann verlassen?«
»Weil es nur eine anständige Lösung in dieser ganzen hässlichen Situation gab: Ich musste einem kleinen Jungen – der ebenso unschuldig in diese beschämende Scharade hineingeraten ist wie ich – die Chance auf ein stabiles Familienleben geben. Rory ist mein Patenkind, Anouk. Ich war bei seiner Geburt dabei. Ich liebe ihn. In dieser Ehe ging es von dem Moment an nicht mehr um mich, in dem ein Kind ins Spiel kam. Selbst wenn Gil und ich uns wieder hätten versöhnen können – wie könnte ich Rory je seinen Vater vorenthalten?«
Ihre Stimme brach. Anouk starrte sie entsetzt an. »Ich wusste ja nicht …«
Cassie wandte den Blick ab, starrte heftig blinzelnd an die Wand.
»Also hab ich mich schon wieder geirrt«, räumte Anouk mit leiser, kläglicher Stimme ein. »Ich … bitte verzeih.« Sie zuckte hoffnungslos mit den Schultern. »Ich wollte mein Handeln verzweifelt rechtfertigen. Als mir klar geworden ist, dass Wiz dasselbe mit dir macht, was ich mit Florence mache, da …« Sie biss sich auf die Lippe. »Ich wollte es nicht wahrhaben. Ich wollte es einfach nicht sehen. Ich hatte solche Angst, ihn zu verlieren. Dann, als du es rausgefunden und Gil verlassen hast, da … es hat mir Hoffnung gemacht. Ich dachte, vielleicht wird Florence ja auch Jacques verlassen. Vielleicht läuft es so. Wenn er schon nicht sie verlassen will, dann vielleicht sie ihn. Dann würde ich ihn wiederbekommen, ich müsste nur abwarten.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich hatte alle Vernunft verloren, jedes Gefühl für Freundschaft.«
Sie hob die Hand und wollte Cassie berühren, aber die zuckte zurück. Anouks Hand hing einen Moment in der Luft, dann ließ sie sie sinken. Sie nickte besiegt, als habe sie verstanden, dass Worte hier nicht ausreichten.
»Es tut mir wirklich ehrlich leid«, sagte sie und wandte sich ab. Sie ging den Gang entlang, zurück zur Tür, eine kleine Gestalt im harschen Licht der Neonröhren des abendlichen Krankenhauses.
Cassie schaute auf ihren Kaffeebecher, der noch unter dem Ausgabestutzen stand. Da rief plötzlich jemand ihren Namen. Sie schaute sich um. Es war aus dem anderen Korridor gekommen, wo das Wartezimmer lag. Kellys Stimme. Sie drehte sich zu Anouk um. Die hatte es offenbar auch gehört, war einen Moment stehen geblieben, doch nun ging sie mit hängenden Schultern weiter.
»Jetzt bloß nicht weich werden …«, mahnte sich Cassie, »du bist zu gutmütig, das sagt jeder …«
Die Tür ging zischend auf.
»Nooks, warte!«, rief sie und rannte ihr hinterher.
Anouk drehte sich um.
»Ich hab gerade Kelly gehört. Ich glaube, das Kind ist jetzt da«, sagte Cassie atemlos.
Anouk rannen die Tränen über die Wangen. Sie presste ihre kleine Hand auf den Mund und nickte. »Würdest du ihr schöne Grüße von mir ausrichten?«
»Nein«, sagte Cassie mit bewundernswerter Festigkeit.
Anouk schaute sie verzweifelt an. »Bitte, Cassie!«, flehte
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