Ein Gespenst auf Schatzjagd - Sherlock von Schlotterfels ; 1
noch, als der Stammsitz des Herzogs von Au vor ihnen auftauchte. Im Gegensatz zu Sherlocks Schloss war dieses Gebäude ein schmuckloser Kasten.
Mit düsterem Gesicht blickte Sherlock zu den gardinenverhangenen Fenstern hinauf. „Wohlan!“, grummelte er, während er die rechte Faust in die linke schlug. „Dann wollen wir der Kanaille mal heimleuchten!“
Interview mit einem Herzog
Max drückte auf den Klingelknopf, wartete, doch niemand öffnete.
Gerade wollte sich Sherlock mit voller Wucht durch die Haustür werfen, als diese plötzlich aufschwang. Im Türrahmen erschien ein junger Mann. Erschrocken riss das Gespenst die Augen auf. In dem verzweifelten Versuch, seinen Schwung abzubremsen, ruderte es mit den Armen in der Luft herum und bog sich nach hinten. Aber es war einfach zu schnell! Sherlock stieß einen markerschütternden Schrei aus und rauschte durch den jungen Mann hindurch. Dieser zuckte fröstelnd zusammen und schloss die Augen, als ihn die Gespensterkälte traf wie ein eisiger Blitz. Ungebremst sauste Sherlock derweil mit flatternden Rockschößen über den Gang und verschwand in der gegenüberliegenden Spiegelwand. Lilly zögerte nicht lang, sondern jagte sofort hinter ihrem Herrn her.
„Auweia“, flüsterte Paula.
Max und Paula waren zu Salzsäulen erstarrt. Auch der junge Mann brauchte einen Moment, bis er sich wieder gefangen hatte.
Schließlich öffnete er die Augen und fragte schaudernd: „Wer hat denn da so geschrien? Das ging einem ja durch Mark und Bein!“
Innerhalb von Millisekunden hatte Max’ Gehirn eine absolut wasserdichte Notlüge ausgearbeitet. „Das … das war meine Schwester!“
Entgeistert tippte sich Paula mit dem Zeigefinger gegen die Brust. „Ich?“
„Du kannst es ruhig zugeben“, sagte Max aufmunternd.
„Was meinst du eigentlich?“, presste Paula zwischen den Zähnen hervor.
„Paula träumt von einer Karriere als Opernsängerin. Deshalb übt sie den ganzen Tag, ohne Rücksicht auf die Ohren anderer Leute.“
Paula klappte die Kinnlade herunter.
„Na ja, die Callas hat bestimmt auch mal klein angefangen“, sagte der junge Mann heiter. „Und wie sagte einer meiner Vorfahren stets? ‚Immer nach den Sternen greifen!‘“
Paula hatte keine Ahnung, wer diese Callas war. Aber sie hatte das Gefühl, dass es das Beste sein würde, einfach zu nicken. Insgeheim schwor sie sich jedoch, noch heute Abend mindestens eines von Max’ Modellbauschiffen im Seerosenteich zu versenken.
„Wir sind Max und Paula Kuckelkorn“, ergriff Max wieder das Wort. „Wir wollen zu Nepomuk Herzog von Au.“
„Steht höchstpersönlich vor euch. Und was führt euch zu mir?“ Der junge Mann hatte kurze schwarze Haare, trug Jeans und seine Füße steckten in sportlichen Flipflops. Alles in allem sah er ziemlich gut aus und kein bisschen wie ein Herzog, fand Paula. Aber was sollten sie auf seine Frage antworten? Etwa: „Hi, wir haben gestern Nacht Sherlock Freiherr von Schlotterfels kennengelernt, den ihr Vorfahr, Roderich Herzog von Au, vor über dreihundert Jahren bei einem unfairen Duell getötet hat. Der Freiherr möchte nun gerne wissen, ob dieser gemeine Roderich den Diebstahl seines Riesendiamanten vielleicht nur vorgetäuscht hat. Wissen Sie etwas darüber?“
Nein, das ging nicht. Aber was sollten sie dann sagen?
„Wir haben in unserer Schule Projektwoche“, dichtete Max eine neue Notlüge. „Paula und ich machen bei dem Projekt Stadtgeschichte mit. Wir sollen einen Aufsatz über Ihre Familie schreiben.“
„Das ist aber schön!“, freute sich der Herzog und schenkte ihnen ein Zahnpastalächeln. „Bei mir seid ihr genau an der richtigen Adresse. Genealogie ist mein Steckenpferd. Es gibt nichts, was ich über meine Familie nicht weiß!“
Hinter vorgehaltener Hand raunte Paula Max zu: „Wie heißt sein Steckenpferd?“
„Ahnenforschung“, nuschelte Max zurück.
Paula verdrehte die Augen. „Diese Adeligen drücken sich immer so kompliziert aus!“
Nepomuk Herzog von Au trat einen Schritt zur Seite und deutete mit der Hand in den Korridor. „Tretet ein!“
Sie marschierten durch den Flur hinein in ein lichtdurchflutetes, ganz in Weiß eingerichtetes Wohnzimmer.
Dort saß ein Mann an einem riesigen Tisch, der Platz für mindestens zwölf Personen bot. Beim Klang ihrer Schritte schaute er von einer großen Papierrolle auf.
„Das ist mein Architekt, Herr Amedeo Lieven. Das sind Max und Paula Kuckelkorn“, machte der Herzog den Architekten mit den
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