Ein Gespür für Mord - Detective Daryl Simmons 1. Fall
Nachmittag zu qualifizieren. Eigentlich hatte er nur mitgemacht, um bei den Stockmen Anerkennung und Vertrauen zu gewinnen, aber nun hatte ihn der Ehrgeiz gepackt.
Er vermied es, sich in Barrows Nähe aufzuhalten und mischte sich stattdessen unter die Stockmen. Daryl spürte, dass das Eis langsam zu schmelzen begann und sie ihn allmählich als einen der ihren akzeptierten. Nun musste er nur noch den Rest des Tages ohne größere Blessuren überstehen.
Nach dem Mittagessen begab er sich zur Koppel, in der der Weiße Teufel untergebracht war. Er musterte das Tier. Immer wieder blickte der Schimmel zu ihm herüber und beobachtete ihn. Zwischendurch scharrte er mit den Hufen im Staub und blies gelegentlich kämpferisch die Nüstern auf. Wondah war stolz, und zweifellos würde er sich niemals den Willen brechen lassen. Das gefiel Daryl.
»Was halten Sie von ihm?«, hörte er jemanden hinter sich fragen. Als er sich umwandte, stand Bill Murgura vor ihm.
»Ein großartiges Pferd.«
Der Aborigine nickte. »Sie haben sich gut gehalten. Wo haben Sie so reiten gelernt?«
»Ich bin im Outback aufgewachsen. Sie wissen ja, da sitzt man schon auf einem Pferd, bevor man richtig laufen kann.«
»Reiten ist das eine. Mit Pferden richtig umzugehen etwas ganz anderes.«
Daryl sah ihn von der Seite an. »Das ist richtig. Dazu muss man die Tiere verstehen – so wie Sie.«
Der Aborigine musste mitbekommen, dass ihn Daryl musterte. Trotzdem blieb sein Blick weiter auf das weiße Pferd gerichtet. »Ich weiß, was Sie jetzt denken«, sagte er schließlich. »Sie fragen sich, weshalb jemand, der Pferde versteht, seit Jahren diesen Schimmel einfängt und versucht, ihn zuzureiten.«
»Wieso glauben Sie, dass ich das denke?«
»Weil ich nicht nur bei Pferden spüre, was sie denken.«
»Also gut. Nehmen wir an, Sie haben recht. Was ist der Grund?«
»Das Gefühl, stark, frei und ungebunden zu sein. Jedes Mal, wenn wir aufeinandertreffen, spüre ich es. Und der Weiße Teufel spürt es ebenfalls. Jedes Jahr beweise ich, dass ich noch nicht zu alt bin, um ihn aufzuspüren und einzufangen. Er zeigt mir im Gegenzug, dass er noch immer voller Lebenskraft ist und sich nie zähmen lassen wird. Wir messen unsere Kräfte, aber keiner wird je den anderen besiegen. Und wissen Sie, wieso? Weil wir uns achten.« Murgura machte eine kurze Pause. »Früher war mein Stamm frei«, fuhr er mit ernster Stimme fort. »Er zog durch die Kimberleys. Heute lebt er in Kalumburu. Zwar bestimmen wir wieder über unser ehemaliges Stammesgebiet, aber sind wir deshalb wirklich frei?«
Daryl wusste, was der Aborigine meinte. Jahrzehntelang waren die australischen Ureinwohner von den Weißen gejagt und unterdrückt worden, hatten keine Rechte gehabt und fühlten sich wie Gefangene. Man nahm ihnen ihr Land weg, vertrieb sie oder brachte sie einfach um. Aber ihre Seele, die ließ sich nicht einsperren. Immer mehr Eingeborene waren inzwischen dabei, zu ihren Wurzeln zurückzufinden. Sie hatten sich zwar das Recht auf viele ihrer alten Stammesgebiete und heiligen Stätten vor den Gerichten der Weißen zurückerkämpft, trotzdem fühlten sich viele von ihnen noch immer nicht frei. Bill Murgura war einer von ihnen.
Daryl hätte sagen können, dass er ihn verstand, aber der Aborigine hätte ihm das nicht geglaubt. Also schwieg er.
Offenbar schien seine Reaktion Murgura zu gefallen, denn plötzlich verzog sich sein Mund zu einem Lächeln. »Reiten Sie in der nächsten Runde die schwarze Stute mit dem weißen Fleck auf der Stirn?«
»Ja.«
»Passen Sie auf, die ist ganz schön durchtrieben. Ich habe sie vor zwei Jahren zugeritten. War als Reittier nicht geeignet. Sie wird Ihnen erst das zahme Fohlen vorspielen, um Sie in einem günstigen Moment abzuwerfen.«
Bevor Daryl sich für den Tipp bedanken konnte, ging der Eingeborene davon.
Auch diesmal stellte Murgura schon im ersten Durchgang alle anderen Reiter in den Schatten und stand bereits vor seinem zweiten Ritt als Finalist fest. Sein Pferd hatte vergeblich versucht, den Eingeborenen abzuschütteln, sodass Murgura schließlich freiwillig von seinem Rücken sprang, was bei den Männern lautes Gelächter hervorrief.
Den zweiten Rang erkämpfte sich Ray Hill. Er war ein ausgezeichneter Reiter, auch wenn das auf den ersten Blick nicht so aussah. Während sein Wallach durch den Pferch hüpfte, als hätte er einen Schwarm Hummeln im Hintern, sah der schlaksige Junge wie ein Taschenmesser aus, das ständig auf- und
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