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Ein glücklicher Tag im Jahr 2381

Ein glücklicher Tag im Jahr 2381

Titel: Ein glücklicher Tag im Jahr 2381 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Verachtung für diese graue Menschenmenge in den Zuschauernetzen um ihn herum zu verbergen. Wird die Musik sie erreichen können? Gibt es überhaupt etwas, das sie noch erreichen kann? Oder werden sie nur passiv dasitzen, nicht einmal zur Hälfte aus sich herausgehen? Sie werden wohl davon träumen, noch mehr kleine Kinder zu machen. Sie werden die schwitzenden Künstler gar nicht wahrnehmen; es sich vielmehr bequem machen und gar nichts haben von dem Feuerwerk, das um sie herum abläuft. Wir werfen euch das ganze Universum zu, und ihr könnt es nicht einmal auffangen. Weil ihr zu alt seid? Was kann eine Kosmosshow einer dicklichen, 33jährigen vielfachen Mutter eigentlich geben? Nein, es ist keine Frage des Alters. In den kultivierteren Städten weiter oben ist die Publikumsreaktion immer gut, ob jung oder alt. Nein, es ist vielmehr eine Frage der grundsätzlichen Einstellung zur Kunst. Die Proles, ganz unten im Gebäude, reagieren mit ihren Augen, ihren Eingeweiden, ihrem ganzen Körper. Entweder sind sie durch die farbigen Lichter und die wilden Töne fasziniert, oder sie sind überrascht und feindselig, aber sie sind nicht gleichgültig. In den höchsten Ebenen, wo die Benützung des eigenen Kopfes nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht ist, da öffnen sie sich gegenüber der Show, denn sie wissen, je mehr sie selbst einsetzen, desto mehr kann ihnen die Show geben. Und dreht sich nicht das ganze Leben im Grunde darum, alles an sinnlicher Freude zu gewinnen, soweit es die eigenen Wahrnehmungsfähigkeiten zulassen? Aber wie ist das hier? Hier, in den mittleren Etagen, sind die Sinne längst abgestumpft. Die wandelnden Toten. Für sie ist nur wichtig, im Auditorium anwesend zu sein, die Karte vor jemand anderem zu erwischen, zuerst dazusein. Die Vorstellung selbst spielt keine Rolle. Das ist für sie nur Lärm und Licht, ein paar von diesen verrückten Jungen aus San Franzisko, die sich hier aufspielen. Was für ein Witz, daß sie sich Römer nennen. Römer? Das wirkliche Rom war anders, da geh’ ich jede Wette ein. Dillon starrt sein Publikum feindselig an; und dann blickt er durch die Menschen hindurch, als gäbe es sie gar nicht. Er will ihre schlaffen und grauen Gesichter nicht sehen, damit sie nicht auf seine Vorstellung abfärben. Er ist hier, um zu geben. Wenn sie es nicht, nehmen können, das ist ihre Sache.
    »Fangen wir an«, murmelt Nat. »Bist du soweit, Dill?« Er ist soweit. Er bringt seine Hände zum virtuosen Anschlag hoch und läßt sie blitzartig auf die Schaltvorrichtungen fallen. Der alte Hammer! Mond und Sonne und Planeten und Sterne brausen aus seinem Instrument hervor. Er schleudert das ganze strahlende Universum in die Halle hinaus. Dabei wagt er es nicht, sein Publikum anzusehen. Hat er sie aus ihren Sitzen gerissen? Keuchen sie, kauen sie auf ihren spröden Unterlippen. Kommt schon, kommt, kommt! Die anderen überlassen ihm ein einführendes Solo, als würden sie spüren, daß er etwas ganz Besonderes bringen wird. Furien jagen durch sein Gehirn. Er schlägt wie wild auf das Manipulatrix ein. Pluto! Saturn! Beteigeuze! Deneb! Hier sitzen Leute, die ihr ganzes Leben lang in einem einzigen Gebäude eingeschlossen bleiben; und er gibt ihnen die Sterne mit einer einzigen schädelsprengenden Explosion. Wer sagt, daß man nicht mit dem Höhepunkt anfangen kann? Der Energieverbrauch muß gewaltig sein; vermutlich werden jetzt selbst in Chikago die Lichter flackern. Was soll’s? Hätte sich Beethoven um den Energieverbrauch gekümmert? Einen Dreck! Da! Da! Da! Er schleudert die Sterne umher. Läßt sie aufflammen und flackern. Eine Sonnenfinsternis – warum nicht? Er läßt Stücke aus der Sonnenkorona ausbrechen. Bringt dem Mond das Tanzen bei. Und dann der Ton, der die Zuschauer in ihren Netzen anspringt, ein langer Speer aus Vibrationen, der in ihre Trommelfelle sticht, durch ihre Arschlöcher wirbelt, ihnen hilft, ihr Abendessen zu verdauen. Dillon lacht. Er möchte jetzt am liebsten sein eigenes Gesicht sehen; sieht bestimmt etwas dämonisch aus, vermutet er. Wie lang soll das Solo noch dauern? Warum nehmen die anderen sein Spiel nicht auf? Wenn er so weitermacht, brennt er bald aus. Es macht ihm ja nichts aus, sich so in die Maschine zu werfen, aber er hat das schwache – paranoide? – Gefühl, daß die anderen ihn absichtlich so lange über seine Grenzen hinaus spielen lassen, damit ihm vielleicht etwas passiert. Damit er den Rest seines Lebens wie eine halb zertretene Schnecke

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