Ein glücklicher Tag im Jahr 2381
Räumen. Tausende. Ein Schwarm von zweibeinigen Bienen. Er ist fünfzig schreiende Babys, die in drei Räumen in London zusammengepfercht sind. Er ist zwei schlotternde Bewohner von London, die die 5000. sexuelle Vereinigung ihres Lebens durchführen. Er ist ein heißblütiger dreizehnjähriger Nachtwandler in der 483. Ebene. Er ist sechs miteinander verkehrende Paare in einem Bostoner Schlafraum. Seine Reichweite nimmt weiter zu, hinunter bis nach San Franzisko, nach oben bis Nairobi. Je weiter er vordringt, desto leichter wird es. Der Ameisenhaufen. Der riesengroße Ameisenhaufen. Er umarmt Tokio. Er umarmt Chikago. Er umarmt Prag. Er berührt Schanghai. Er berührt Wien. Er berührt Warschau. Er berührt Toledo. Paris! Reykjavik! Louisville! Louisville! Von der Spitze bis nach unten, von ganz oben bis ganz unten! Jetzt ist er 881.000 Menschen in allen tausend Ebenen. Seine Seele dehnt sich, soweit es nur geht. Sein Schädel zerspringt. Die Bilder kommen und fegen über den Bildschirm seines Geistes, dahinschwebende Fragmente von Wirklichkeit, dünne Schwaden von Rauch, die Gesichter, Augen, Finger, Genitalien, Lächeln und Traurigsein, Zungen, Ellbogen, Geräusche und unkenntliche Strukturen mit sich tragen. Alles fließt zusammen, verbindet sich und löst sich wieder. Er ist überall und jedermann gleichzeitig. Gott segne! Zum erstenmal versteht er die Natur des empfindlichen Organismus, der die Gesellschaft ist; er sieht die Kontrollen und Gleichgewichte, die stille Verschwörung der Kompromisse, die alles wie ein Klebstoff zusammenhält. Es ist wunderbar und schön. Sich auf diese gewaltige Stadt von vielen Städten abzustimmen, das ist wie das Abstimmen in einer Kosmosgruppe: Alles muß miteinander in Beziehung stehen, jedes Ding muß zu etwas anderem gehören. Der Dichter in San Franzisko ist ein Teil des Heizungsschlossers in Reykjavik. Der ehrgeizige Akademiker in Schanghai ist Teil des leisetreterischen, resignierten Römers. Wie viel von alldem wird ihm noch erhalten bleiben, fragt sich Dillon, wenn seine Reise zu Ende geht? Sein Geist ist wie ein Wirbelsturm, spielt mit Tausenden von Blättern, lebt mit Tausenden von Seelen zugleich.
Und die sexuelle Seite. Hunderttausende, die sich kopulieren; der Reflex ihrer Gefühle hinter seiner Stirn. Die breitgeöffneten Schenkel, die hochgereckten Steiße, lustvoll geöffnete Lippen. Er verliert seine Jungfräulichkeit; er nimmt eine Jungfräulichkeit; er läßt sich von Männern, Frauen, Jungen und Mädchen nehmen; er ist Angreifer und Angegriffener zugleich; er spürt die Ekstase, er taumelt dicht am Orgasmus entlang, er stößt triumphierend zu, er erlebt voll Scham den Rückgang seiner Erektion, er dringt ein, jemand dringt in ihn ein, er verschafft sich Vergnügen, er schenkt Vergnügen, er entzieht sich dem Vergnügen, er verweigert einem anderen das Vergnügen.
Er schwebt in den Lifts seines Bewußtseins. Aufwärts! 501, 502, 503, 504, 505! 600! 700! 800! 900! Er steht auf der Landeplattform auf dem höchsten Punkt des Urbmons, blickt in die Nacht hinaus. Rund um ihn stehen Türme, die benachbarten Monads, 115, 117, 118, die ganze Gruppe. Er hat sich manchmal gefragt, wie das Leben in den anderen Bauwerken der Chipitts-Konstellation wohl sein mag. Das interessiert ihn jetzt nicht mehr. 116 hält genug wunderbare Dinge für ihn bereit. Mehr als 800.000 Leben, die zueinander in Beziehung stehen. Einige seiner Freunde in San Franzisko haben ihm gesagt, daß es eine böse Tat gewesen sei, die Welt so zu verändern, Tausende von Menschen in einem einzigen gigantischen Gebäude zusammenzupferchen, dieses Leben wie in einem Ameisenhaufen zu organisieren. Wenn diese Unzufriedenen nur wüßten, wie falsch sie da liegen! Sie sollten den Multiplexer benützen, um es in der wahren Perspektive sehen zu können, die reiche Vielfalt unserer vertikalen Existenz zu erfassen. Abwärts! 480, 479, 476, 475! Eine Stadt nach der anderen. Jede Etage hält tausend Wundertüten bereit, die reinstes Entzücken beinhalten, wenn man sie öffnet. Hallo, ich bin Dillon Chrimes, kann ich für kurze Zeit du sein? Und du? Und du? Und du? Bist du glücklich? Warum nicht? Hast du jemals diese phantastische Welt gesehen, in der du lebst?
Wie? Du hättest gern einen größeren Raum? Du möchtest reisen? Du magst deine vielen Kleinen nicht? Deine Arbeit langweilt dich? Du bist von einem vagen Unbehagen erfüllt? Idiot! Komm rauf zu mir, fliege von Ebene zu Ebene und sieh dir das an! Träume
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