Ein glücklicher Tag im Jahr 2381
davon! Liebe es!
»Ist es wirklich so gut?« fragt Alma. »Deine Augen strahlen.«
»Ich kann es nicht beschreiben«, murmelt Dillon, schwebt entlang dem Funktionskern abwärts bis zu den Ebenen unterhalb von Reykjavik, dann wieder hoch nach Louisville, erfaßt dabei einen Querschnitt des Gebäudes vom Fundament bis zur Spitze. Ein Ozean von Gedanken. Ein Gewirr von zahllosen verschiedenen Identitäten. Er fragt sich, wie viel Uhr jetzt ist. Die Reise sollte fünf Stunden andauern. Sein Körper ist noch immer mit dem Almas verbunden, demnach hat es vielleicht nur zehn oder fünfzehn Minuten gedauert. Vielleicht auch länger, wie will er das wissen? Sein Tastsinn tritt jetzt in den Vordergrund. Während er durch das Gebäude gleitet, berührt er Wände, Boden, Bildschirme, Gesichter, Stoffe. Er vermutet, daß die Reise damit zu Ende geht. Aber nein. Nein. Die Wirkung verstärkt sich, er kommt noch höher. Das Ausmaß der Dinge, die er simultan wahrnimmt, wird noch größer. Er fließt über vor Wahrnehmungen. Menschen bewegen sich, reden, schlafen, tanzen, paaren sich, beugen sich, greifen nach etwas, essen, lesen. Ich bin ihr alle. Ihr alle seid Teile von mir. Er kann sich genau auf einzelne Identitäten konzentrieren. Hier ist Elektra, hier Nat, der Spektrumreiter, hier Mamelon Klüver, hier ein steifer Soziocomputator namens Charles Mattern, hier ein Administrator in Louisville, hier ein Prole in Warschau, und hier ist… Hier ist. Hier sind. Hier bin ich. Das ganze gesegnete Gebäude.
Oh, was für eine schöne Welt. Oh, wie froh ich bin, daß ich hier leben darf. Oh, das ist der Sinn des Seins. Oh!
Als er von der Reise zurückkommt, liegt die dunkelhaarige Frau mit angezogenen Gliedern in einer Ecke der Schlafplattform. Sie schläft. Er kann sich nicht mehr an ihren Namen erinnern. Er berührt ihre Schenkel, und sie erwacht mit blinzelnden Augen. »Hallo«, sagt sie. »Du bist wieder zurück – willkommen.«
»Wie ist dein Name?«
»Alma. Clune. Deine Augen sind ganz rot.«
Er nickt. Er fühlt das Gewicht des ganzen Gebäudes auf sich: 500 Ebenen lasten auf seinem Kopf, 499 Ebenen pressen von unten gegen seine Füße. Irgendwo in der Magengegend scheinen diese beiden Kräfte aufeinander zu treffen. Wenn er nicht schnell von hier verschwindet, werden seine inneren Organe dem Druck nicht mehr lange standhalten können. Nur Bruchstücke seiner Reise sind ihm geblieben. Dunkle Schwaden umwölken seinen Geist. Vage ist er sich der Kolonnen von Ameisen bewußt, die hinter seinen Augen von Ebene zu Ebene klettern.
Alma legt eine Hand auf ihn, um ihn zu beruhigen. Er schüttelt sie ab und sucht nach seinen Kleidern. Ein Zylinder des Schweigens umgibt ihn. Er wird zu Elektra zurückgehen, sagt er sich, und ihr zu sagen versuchen, wo er gewesen ist und was er erlebt hat, und dann wird er vielleicht leise weinen und sich besser fühlen. Er geht weg, ohne Alma für ihre Gastfreundschaft zu danken. Er sucht nach einem Fall-Lift, gerät statt dessen in einen Aufwärts-Lift und kommt irgendwie in der 530. Etage heraus. Ein Versehen? Da er schon hier ist, geht er zu Roms neuem Schallzentrum. Es ist dunkel dort. Die Instrumente stehen noch immer auf der Bühne. Jedes Geräusch vermeidend, läßt er sich vor dem Vibrastar nieder. Er schaltet sein Instrument ein. Seine Augen sind feucht. Er holt einige der phantomhaften Bilder seiner Drogenreise aus sich heraus. Die Gesichter, die tausend Ebenen. Die Ekstase. Oh, was für eine wunderschöne Welt. Wie froh ich bin, hier zu leben. Das ist der Sinn des Seins. Oh! Sicher, so hat er sich gefühlt. Aber jetzt nicht mehr. Leise Zweifel sind alles, was ihm geblieben ist. Er fragt sich selbst: Sollte es wirklich so sein? Muß es so sein? Ist es das Beste, was wir haben können? Dieses Gebäude. Dieser riesige Ameisenhaufen. Dillons Hände liebkosen die Schaltknöpfe, die sich fest und heiß anfühlen; er schlägt einige wie zufällig an, und das Instrument gibt gräßliche, nicht abgestimmte Farben von sich. Er legt den Ton dazu und erhält Geräusche, die ihn an alte Knochen denken lassen, die an schwabbeligem Fleisch gerieben werden. Was ist falsch gelaufen? Er sollte es erwartet haben. Je höher man aufsteigt, desto tiefer fällt man wieder herunter. Aber warum muß es so weit nach unten gehen? Er kann es jetzt nicht ertragen, zu spielen. Nach zehn Minuten schaltet er den Vibrastar wieder ab und geht. Er wird zu Fuß nach San Franzisko hinabgehen. 160 Etagen abwärts. Das sind
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