Ein glücklicher Tag im Jahr 2381
Fleisch und Blut übergegangen ist, sich jeden Morgen unter Ultraschallwellen zu duschen. Dann wendet er sich wieder dem Tablett zu: Saft, Brot, Früchte, Wein. Nicht schlecht. Bevor er mit dem Essen fertig ist, geht seine Zellentür auf und eine Frau kommt herein, die die hier übliche knappe Kleidung trägt. Er begreift instinktiv, daß sie jemand von Bedeutung ist; ihre Augen strahlen kühle Autorität aus, und ihr Ausdruck ist intelligent und aufnahmebereit. Sie ist vielleicht dreißig Jahre alt, und wie die meisten Farmerfrauen ist sie verhältnismäßig mager; geschmeidige Muskeln, lange Beine, kleine Brüste. Sie erinnert ihn etwas an Micaela, obwohl ihr Haar mittelbraun und kurzgeschnitten ist, nicht lang und schwarz. An ihrer Hüfte baumelt eine Waffe.
»Bedecke dich«, sagt sie barsch. »Ich schätze den Anblick deiner Nacktheit nicht. Bedecke dich, und dann können wir miteinander reden.«
Sie spricht die Urbmon-Sprache! Zwar mit einem fremden Akzent, jedes Wort so scharf abgeschnitten, als zerbeiße sie die Worte mit ihren hell aufblitzenden Zähnen. Die Laute sind etwas verzerrt und undeutlich, aber es ist unüberhörbar die Sprache seines Heimatgebäudes. Übergroße Erleichterung. Er kann sich endlich mit jemand unterhalten.
Hastig legt er seine Kleider an. Sie sieht ihm mit steinernem Gesichtsausdruck zu. Sie scheint zu den Hartgesottenen zu gehören. »In den Urbmons kümmern wir uns wenig darum«, erklärt er, »ob wir unsere Körper bedecken oder nicht. Wir leben in einer post-privaten Kultur, wie wir das nennen. Ich wußte nicht…«
»Du befindest dich hier nicht in einem Urbmon.«
»Ich weiß. Ich bedaure, daß ich gegen eure Gebräuche verstoßen habe.«
Er ist jetzt voll angezogen. Sie scheint ein wenig aufzulockern, vielleicht aufgrund seiner Entschuldigung, vielleicht auch nur, weil er seine Blöße bedeckt hat. Sie wagt ein paar weitere Schritte in den Raum hinein und sagt: »Es ist schon lange her, daß eure Leute einen Spion zu uns geschickt haben.«
»Ich bin kein Spion.«
Ein kühles, skeptisches Lächeln. »Nein? Warum bist du dann hier?«
»Ich wollte gar nicht in das Land eurer Gemeinde eindringen. Ich wollte es nur durchqueren, in Richtung Osten. Auf meinem Weg zum Meer.«
»Wirklich?« Sie reagiert, als ob er ihr gesagt hätte, er wolle zu Fuß zum Pluto. »Und du bist allein unterwegs?«
»Ja.«
»Und wann begann denn diese wunderbare Reise?«
»Ziemlich früh gestern morgen«, sagt Michael. »Ich komme vom Urban Monad 116. Ich war dort Computertechniker, wenn dir das etwas sagt. Ich hatte plötzlich das Gefühl, daß ich nicht mehr im Gebäude bleiben konnte, daß ich herausfinden mußte, wie die Welt draußen aussieht. Ich habe mir eine Passierkarte verschaffen können und das Gebäude kurz vor der Morgendämmerung verlassen. Ich begann zu laufen, und als ich zu euren Feldern kam, haben mich wohl eure Maschinen gesehen. Ich wurde aufgegriffen, und wegen der Sprachschwierigkeiten konnte ich niemandem erklären, wer ich…«
»Was erhofft ihr euch nur, indem ihr bei uns spioniert?«
Er läßt seine Schultern sinken. »Ich habe dir gesagt«, sagt er ergeben, »daß ich kein Spion bin.«
»Urbmon-Leute verlassen ihr Gebäude nicht. Ich schlage mich mit deiner Sorte schon seit Jahren herum; ich weiß, was in euren Köpfen vorgeht.« Ihre Augen begegnen den seinen. Kalt, kalt. »Fünf Minuten aus dem Gebäude, und du wärst vor Furcht gelähmt«, versichert sie ihm. »Offenbar haben sie dich für diese Aufgabe gut trainiert, sonst hättest du nicht während eines ganzen Tages in den Feldern unter offenem Himmel bei Verstand bleiben können. Ich verstehe nur nicht ganz, warum sie dich überhaupt geschickt haben. Ihr habt eure Welt, und wir haben unsere; es gibt keine Konflikte, keine Überschneidungen; niemand ist auf Spionage angewiesen.«
»Da kann ich nur zustimmen«, sagt Michael. »Und deshalb bin ich kein Spion.« Er fühlt sich trotz ihrer strengen Haltung zu ihr hingezogen. Sie wäre sogar ziemlich schön, wenn sie nur lächeln würde. »Sieh mal, wie kann ich dich davon überzeugen?« fragt er. »Ich wollte einfach die Welt außerhalb der Urbmons sehen und erleben. Ich war mein ganzes Leben da drin. Ich habe nie frische Luft geatmet, nie die Sonne auf meiner Haut gespürt. Tausende von Leuten leben über mir. Und ich habe herausgefunden, daß ich gar nicht so gut an das Leben in der Urbmon-Gesellschaft angepaßt bin. Also ging ich nach draußen. Nicht als
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