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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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die Anfangsstufe eines grandiosen Programms, das das rein äußerliche Bild verändern und den Lebensstandard eines unglücklichen Landes heben und damit beweisen würde, daß Volksregierungen wirksam und ausschließlich für das Volk zu arbeiten imstande seien.
    Nunmehr begannen Statistiken über das Anwachsen der Industrie die Sowjetpresse zu füllen. Sie waren die Musik des Sozialismus, die Ouvertüre für die neue Gesellschaftsordnung. Ich war bei der Geburt der Fabrik für Mammuttraktoren in Charkow anwesend, war anwesend, als das Baugelände freigelegt wurde, und ich besichtigte ein Jahr später den Bauplatz. Später machte ich jedes Jahr eine Reise dorthin. Ich fühlte mich der Sache eng verbunden.
    In ähnlicher Weise wurde der Staudamm von Dnjeprostroi ein Teil von mir. Ich kletterte mit dem sowjetischen Chefingenieur über die erratischen Felsblöcke in dem Flußbett, als es zum ersten Male leergepumpt war, und fünf Jahre später fuhr ich in einem Wagen über den gewaltigen Betondamm, der mehr als 30 Meter hoch und über 500 Meter lang ist und der auf eben diesen erratischen Felsblöcken ruhte. Die Sowjets hatten einen Niagara geschaffen, um Licht, Wärme und Millionen von Gebrauchsgütern zu bringen. Als die Nazis einen Teil dieses Staudammes sprengten, schmerzte mich dies.
    Im Auslande standen zahlreiche Kraftwerke und Fabriken still. Der Bankkrach von Wallstreet im Jahre 1929 und die Depression machten Millionen brotlos und verzweifelt. Auch dies fiel in die Waagschale und ließ das Gewicht nach der sowjetischen Seite sinken. Kapitalistische Wirtschaftler und Intellektuelle kamen angereist, um die sowjetische Planung zu studieren und fragten sich, ob sie sich in ihren Ländern anwenden ließe.
    Gleichzeitig mit der Industrialisierung der Sowjetunion drängte die Regierung auf die Kollektivierung der Landwirtschaft. Eine einzige dieser Aufgaben für sich würde die Fähigkeiten eines jeden anderen Regimes überschritten haben. Die Bolschewisten nahmen alle beide gleichzeitig in Angriff. Im Jahre 1929 starteten die Behörden eine Kampagne, durch die kleine Bauernwirtschaften von mindestens hundert Millionen privatkapitalistischen Bauern in Kollektivwirtschaften verschmolzen wurden.
    Die Kollektivwirtschaft war die erste Umwälzung in der Organisierung der Landwirtschaft seit der Zeit, in der die ans Land geketteten Leibeigenen Europas freie, grundbesitzende Bauern wurden. Die Kolchosen versprachen rationelle Produktion in großen Mengen. So wie die städtische Fabrik an die Stelle des mittelalterlichen Handwerkers trat, so sollte die Kolchose den einzelnen Kleinbauern ersetzen. Die Kollektivierung erweckte den Anschein, als sei sie ein Wendepunkt im menschlichen Leben. Mit der drastischen Dramatik, die sie charakterisiert, preßten die Bolschewisten dieses gesamte Kapitel einer soziologischen Entwicklung in den schnellen Ablauf weniger Jahre. Der ausländische Beobachter beglückwünschte sich zu dem seltenen guten Geschick, das er erlebte, unter seinen Augen wurde Geschichte gemacht.
    Und doch war die Kollektivierungsmaßnahme das „Kronstadt" für viele ausländische Anhänger und daneben auch für zahllose Staatsangehörige der Sowjetunion, die, ehe ich selber es begriff, verstanden hatten, daß die Kollektive eine raffiniert angelegte neuzeitliche Form einer massenmäßig durchgeführten Leibeigenschaft darstellte, mit der der Bauer gezwungen wurde, unter der Aufsicht und der Knute von ausgesuchten örtlichen Kommunisten zu arbeiten, und wodurch er mit dem Saatgut, den Geräten, Zugtieren und dem größten Teil seines Einkommens in staatliche Abhängigkeit geriet.
    Die Verstaatlichung der Landwirtschaft begegnete natürlich einem heftigen und weit ausgedehnten Widerstand bei der Landbevölkerung, und wir alle sahen mit an, wie die Regierung darauf reagierte. Sie verbannte massenweise Kulaken und wohlhabende Bauern in Zwangsarbeitslager. Doch selbst diese Massendeportationen brachen den Widerstand der Dörfer nicht. Ärmere Bauern weigerten sich, ihren Viehbestand den Kollektivbetrieben zuzuführen und verkauften ihn entweder oder verzehrten ihn selber, ehe sie dem Druck nachgaben und doch Mitglieder wurden. Die daraus zwangsläufig entstehende Verknappung des Vieh- und Pferdebestandes wurde zu einer jahrelang währenden Plage in Rußland. Die Behörden wandten alle Arten von Zwangsmaßnahmen an, um die Bauern in die Kollektivbetriebe zu treiben. Häufig erschienen Einheiten der Roten Armee in einem

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