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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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daß es eines Tages mehr Schuhe, Wohnungen und elektrisches Licht haben würde. Sie hatten bereits mehr Schulen, medizinische Behandlung und Möglichkeiten für Arbeitsurlaub. Doch als ich anfangs nach Rußland kam, da war die geistige Haltung stark, obwohl die praktischen Verwirklichungen der Revolution unbedeutend waren. Es war ein Geist idealistischer Hingabe und mutiger Auflehnung vorhanden. Der Kommunismus trat für Empörung und Wandel ein. Jetzt, neunzehn Jahre nach der heftigen Geburt des bolschewistischen Regimes, hatte eine allgegenwärtige, weitgehend durch den Terror gerechtfertigte Furcht die Empörung umgebracht, die Auflehnung verstummen lassen und die Zivilcourage vernichtet. An Stelle des Idealismus herrschte in erster Linie ein zynisches Denken an die eigene Sicherheit. An Stelle der Hingabe für einen höheren Zweck war das Streben nach persönlichem Aufstieg getreten. An Stelle einer lebendigen Geisteshaltung herrschte tote Gleichschaltung, bürokratischer Formalismus und das Nachäffen falscher, abgedroschener Schlagworte.
    Diese keineswegs klaren noch endgültigen Gedanken durchliefen mein Hirn. Beamte, die meine Freunde waren, ließen gelegentlich Andeutungen fallen, aber sie sprachen nicht mehr offen mit mir. Die journalistische Arbeit in Moskau hatte ihren aufregenden Reiz und ihre innere Befriedigung verloren. Warum sollte ich in einem solchen Lande leben?
    In eben diesem kritischen Augenblick – im Juli 1936 – brach der spanische Bürgerkrieg aus. General Francisco Franco hatte mit Hilfe anderer reaktionärer Militaristen, mit der faschistischen Falange, den Monarchisten, der reichen Aristokratie und den Großgrundbesitzern einen Aufstand gegen die liberale, aufgeklärte demokratische und legal gewählte Regierung angefangen.
    Das spanische Volk hatte während meiner Besuche im Jahre 1934 und im Frühling 1936 mein Herz gewonnen. Es ist ein kultiviertes Volk, selbst dann, wenn es analphabetisch und verhungert ist. Die Spanier haben Temperament und einen Hang für die dramatische Pose, der abstoßend wirken würde, wenn er nicht so von Grund auf voller Würde wäre. Die Form ist ihnen wichtig. Es war eine Spanierin, die sagte: „Wir würden eher stehend sterben, als kniend am Leben bleiben." Und sie hatten jahrhundertelang auf ihren Knien gelebt, während sie in Armut und Unterdrückung von einer dünnen, rückwärtsschauenden oberen Schicht niedergehalten wurden, die die Französische Revolution nicht hereinließ und es im Jahre 1936 unternahm, das zwanzigste Jahrhundert auszuschließen. Das war der Sinn des Francoschen Aufstandes. Deswegen war es keineswegs unnatürlich, daß er sofort militärische und persönliche Unterstützung von Hitler und Mussolini erhielt.
    Spanien wurde nunmehr die Front gegen den Faschismus. Freudig verließ ich Rußland, um in der Nähe des Kampfes zu sein. Der Hunger jagte Rußland in den Keller. Nach Spanien kam der Tod in offenem Kampf im Licht der Sonne. Spanien war voller Trauer, aber es war edel.
    Der spanische Bürgerkrieg verzögerte mein „Kronstadt". Er nahm meine ganze Aufmerksamkeit gefangen und verbrauchte meine ganze Kraft. Doch im Hintergrund meiner Gedanken blieb immer die Sowjetunion. Ich war imstande, darüber in einem Abstand, der eine Perspektive gewährte, nachzudenken.
    Der Kampf der Republik gegen den Faschismus in Spanien war wahrscheinlich der Höhepunkt des politischen Idealismus in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Selbst in den besten Jahren war die Sympathie des Auslandes für Sowjetrußland eine Angelegenheit der Politik und des Gehirns. Der Bolschewismus erfüllte seine ausländischen Anhänger mit heftigen Leidenschaften, aber nur in geringem Maße mit jener innigen Teilnahme und Anhänglichkeit, wie sie das regierungstreue Spanien hervorrief. Die Anhänger der Regierungspartei liebten das spanische Volk und nahmen schmerzvollen Anteil an seiner Leidenszeit, die es durch Kugeln, Bomben und Hunger durchzumachen hatte. Das Sowjetsystem löste die intellektuelle Anerkennung aus, der Kampf Spaniens brachte eine gefühlsmäßige Verschmelzung zustande. Die spanische Regierungspartei war von Anfang an immer die schwächere Seite, die verlierende Partei, und ihre Freunde hatten eine dauernd angespannte Besorgnis, daß ihre Kraft zu Ende gehen könnte. Nur diejenigen, die mit Spanien die dreiunddreißig tragischen Monate vom Juli 1936 bis zum März 1939 durchlebten, können in ihrem vollen Annage die Freude über den

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