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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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man die Kirche als ein Werkzeug der Sowjetregierung im In- und Auslande benutzte, daß ordengeschmückte Marschälle auftauchten, die wie Göring aussahen, daß der Sowjetimperialismus als Kind des Nationalismus seinen Aufstieg erlebte, und es führte zu der amtlichen Propaganda für den Panslawismus, einer Lehre, die genau so unheilschwanger ist wie der Pan-Germanismus.
    Das bolschewistische Regime stellte eine Erhebung gegen die materiell, kulturell und psychologisch üble Erbschaft des Zarentums dar. Doch der Zarismus erwies sich als sehr widerstandsfähig und die Außenwelt half der neuen Welt nicht dabei, die alte zu besiegen.
    Die Tatsache, daß der Bolschewismus aus den fauligen Quellen des Zarismus zu trinken begehrte, erschütterte mich und widerte mich an. Meine stärkste Bindung an das Sowjetsystem waren sein Internationalismus und sein Blick auf die Zukunft gewesen.
    Plötzlich wurden 1935 Gerüchte über eine neue demokratische Verfassung laut, und 1936 wurden sie amtlich. Die Stalin-Verfassung! Ich klammerte mich daran. Ich wollte glauben. Ich wollte nicht einer Sache abschwören, in die ich geistig so viel investiert hatte. Vielleicht begriff Stalin doch, daß das Volk nach Freiheit dürstete. Sie hatten es, wie Lettin sagte, in der kurzen Kerensky-Zwischenzeit gehabt. Sie hatten wahrhaftig mehr davon unter Nikolaus II. gehabt als unter den Bolschewisten. Heute, wo sämtliche feindlichen Klassen innerhalb der Sowjetunion unwiderruflich liquidiert worden waren, konnte Stalin ohne Gefahr für das Regime eine neue Charta der Freiheit gewähren, die eine neue Begeisterung entfachen und einiges von dem alten Elan wiedergewinnen und hierdurch die Aufgaben der Regierung erleichtern würde. Ich wollte daran glauben, daß eine aus edlen Motiven geborene Diktatur abdanken konnte.
    Ich erkannte die Mangelhaftigkeit der Verfassung. Sie verkündete ein begeisterndes Verfassungsgesetz, doch gab sie keinerlei Erläuterungen über die Vollzugsgewalt, um es durchzuführen, und keinerlei Rechtsprechung, die es schützte. Ich besprach dies mit Karl Radek am Vorabend der Veröffentlichung der Verfassung.
    Radek war ein anerkannter sowjetischer Schriftsteller, ein Freund Lenins, Mitglied des inneren Parteikreises, Mitarbeiter von Stalin und ein glänzender Gesellschafter. Er wußte auf alles eine Antwort. Er pflegte einem eine Frage vorzulegen und gab, ehe man eine Antwort formulieren konnte, diese selber. Bei dieser Gelegenheit sagte ich zu ihm: ,Das Problem der Verfassung ist ein Problem der GPU."
    Er schwieg zwei ganze Minuten und schritt die ganze Länge seines Zimmers auf und ab. „Sie haben recht", sagte er schließlich.
    Stalin hatte Schwierigkeiten mit der GPU. Unter Jagoda, der späterhin seines Ehrgeizes wegen hingerichtet wurde, machte die GPU den Versuch, sich selber zum Haupt und zugleich zum Arm der Diktatur zu machen. Sie strebte danach, ein Staat im Staate zu werden. Stalin säuberte sie. Würde er sie ebenfalls an die Kandare legen, sie zurückdämmen und abbauen und auf diese Weise die Verfassung in eine ermutigende Wirklichkeit verwandeln? Wenn nicht, dann würde die Charta, die seinen Namen trug, eine Geste bleiben, um die demokratische Außenwelt zu beeindrucken, ein stumpfer Pfeil im Köcher des berufsmäßigen Sowjetagitators und ein Kniff, um ausländische und inländische Toren irrezuführen.
    Während ich emsig Hinweise sammelte, um meine Hoffnungen zu nähren, wurden sie vollständig vernichtet. Die GPU wurde nicht an die Kandare genommen, nicht zurückgedrängt oder gar abgebaut. Sie wurde nur umgruppiert und dann auf Kosten des Verfassungsgesetzes mit weiteren Vollmachten ausgestattet.
    Die lauten Moskauer Schauprozesse von 1936, 1937 und 1938 waren bereits in Vorbereitung. In ihrem Verlauf sollte der Öffentlichkeit nur ein ganz winziger Bruchteil jener vielen Tausenden gezeigt werden, deren Tod durch einen Genickschuß in den Kellern der GPU ohne Gerichtsverhandlung einen schrillen Mißklang zu den amtlichen Hosiannas für die neue „Stalin-Verfassung" anschlug.
    Die schwarze Pest warf ihre Schatten voraus, und um die Mitte des Jahres 1936, als immer noch weitere Prozesse angekündigt werden sollten, spürte ich die hereinbrechende Nacht und wußte, daß ich nicht mehr länger in der Sowjetunion zu leben wünschte.
    Noch immer konnte ich in Begeisterung geraten über die machtvollen Leistungen neuer Fabriken und neuer landwirtschaftlicher Verfahren. Ich liebte das Sowjetvolk. Ich hoffte,

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