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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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konservativen und opportunistisch-bürgerlich eingestellten Regierungen zu ändern. Litwinows Name wurde, und als solcher steht er heute noch da, als ein Hohn auf alle empfunden, die behaupten, daß nur die faschistischen Aggressoren den zweiten Weltkrieg verursacht haben. Hitler hatte viele aktive und passive demokratische Kollaborateure.
    Es schien eine bessere Strategie zu sein, Hitler zu bekämpfen, als gegen die Sowjetregierung zu kämpfen, die auf eine Mobilisierung der Welt gegen Faschismus und Krieg drängte. Die alten Kritiker Moskaus auf dem linken politischen Flügel mäßigten ihre Angriffe und schlossen hier und dort die Reihen, um die liberal-sozialistisch–kommunistische Volksfront zu bilden. Sogar alte „Kronstadter" versanken in Stillschweigen; wenige neugeworbene Anhänger stießen in den ersten zwei oder drei Jahren nach der Machtergreifung des Hitler-Regimes zu ihrer Fahne.
    In Rußland verbesserten sich die Lebensverhältnisse während der Jahre 1934 und 1935 mäßig, nach ausländischen Gesichtspunkten allerdings recht kümmerlich. Zur gleichen Zeit gingen die kommunistische Moral und der kommunistische Idealismus ihrer Zersetzung entgegen. Das Eingreifen der GPU in Stalins ideologische Streitigkeiten mit der linken und rechten Opposition erniedrigten die Kommunistische Partei zu einem willfährigen Gummistempel für den Privatgebrauch des Diktators. Ihre Bürokratie ging in der größeren Bürokratie der Regierung auf, und sie beide züchteten Kriecher, Zyniker und Feiglinge heran. In den höchsten wie in den untersten Rängen war eher Furcht als Denken, Eigensucht weit mehr als das Gemeinwohl der Vater jeglichen Wortes und jedweder Handlung. Ein jeder, der eine abweichende Ansicht in der Vergangenheit geäußert hatte oder dessen unabhängige Haltung und Ursprünglichkeit eines Tages vielleicht eine nicht orthodoxe Einstellung hegen konnte, erhielt um 2 Uhr nachts den Besuch der Geheimpolizei und gesellte sich in Bälde zu den unfreiwilligen „Erbauern des Sozialismus" in Sibirien und in den arktischen Einöden.
    Diese vorsichtigen, berechnenden, unterwürfigen, nervösen Heuchler in der Staatsverwaltung, in der Partei, in den Gewerkschaften und anderen Organisationen achteten vorsichtig auf ihre Schritte, blickten scheu über ihre Schulter nach hinten und bekundeten laut ihre Loyalität, beteten monoton die amtliche Propaganda nach und gaben sich alle Mühe, um zum Trost dafür so viel zu essen, zu trinken, zu tanzen und überhaupt so luxuriös zu leben, wie es die gelockerten materiellen Verhältnisse zuließen. Der Kreml erklärte durch Erlaß die Gleichheit zu einer „bourgeoisen Tugend". Sie war gewiß keine sowjetische Tugend. Die Kluft zwischen den reichsten und den ärmsten Leuten erreichte überkapitalistische Dimensionen. Akkordarbeit für die Arbeiterschaft wurde nun allgemein eingeführt, und die Gewerkschaften wurden Organisationen auf dem Papier, während die Fabrikdirektoren und Fabrikbüros als einzige schalteten und walteten, einstellten, entließen und die Löhne festsetzten.
    Im Dezember 1934 schoß ein junger Mann namens Nikolajew auf Sergej Kirow und tötete den kommunistischen Beherrscher Leningrads, der der vierte Bolschewist der Sowjetunion war. Sofort richtete die GPU 103 Personen hin, die im Gefängnis saßen und bereits viele Monate vor Kirows Tode im Gefängnis gewesen waren. Dann wurde Sinowjew, der Mitarbeiter Lenins, wegen der gleichen Tat verbannt. Und dann wurden die leitenden Männer der GPU in Leningrad dafür bestraft.
    Ich war zutiefst angeekelt. Der Sowjetstaat, der theoretisch dazu bestimmt war, sich allmählich aufzulösen, hatte sich zu einem grausamen, übergroßen Ungeheuer ausgewachsen. Gewiß setzte im Ausland diese gleiche bolschewistische Regierung ihre Bemühungen fort, einen kollektiven Sicherheitsblock gegen die faschistische Aggression zusammenzuschweißen. Doch ich fühlte, daß dies nicht ausreichte. „Ich glaube", so schrieb ich in einem Artikel in der New Yorker Zeitschrift „Nation", „daß die Demokratisierung der Sowjetunion die Feinde des Friedens schwächen würde." Eines Abends las ich in Moskau diesen Satz aus meinem Manuskript dein Leiter der Pressestelle des Außenkommissariats, Konstantin Oumanski, und seinem politischen Mitarbeiter Boris Mironow vor. Mironow war meiner Meinung. Oumanski, der starre Beamte, sagte, es sei nicht sachlich. In der Folgezeit wurde Mironow in Verbindung mit einem der Prozesse erschossen.

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