Ein Gott der keiner war (German Edition)
gleichzeitig auch die Verkörperung des liberalen Kosmopolitismus der Weimarer Republik. Die Atmosphäre im Verlagsgebäude in der Kochstraße glich eher der eines Ministeriums als der einer Redaktion.
Meine Versetzung von Paris nach Berlin ging auf einen Artikel zurück, den ich aus Anlaß der Verleihung des Nobelpreises für Physik an den Prinzen de Broglie geschrieben hatte. Meine Chefs fanden, daß ich ein Talent für populärwissenschaftliche Darstellungen besäße (ich hatte in Wien Naturwissenschaften studiert), und boten mir den Posten des wissenschaftlichen Redakteurs der „Vossischen" und eines wissenschaftlichen Beraters für die übrigen Ullstein-Publikationen an. Der Tag, an dem ich in Berlin eintraf, war der schicksalsschwere 14. September 1930 – der Tag der Reichstagswahlen, bei denen die NSDAP die Zahl der Abgeordneten in einem gewaltigen Sprung von 4 auf 107 erhöhen konnte. Auch die Kommunisten hatten Gewinne zu verzeichnen, während die Parteien der demokratischen Mitte zermalmt wurden. Es war der Anfang vom Ende der Weimarer Republik; die Situation war am treffendsten zusammengefaßt in Knickerbockers berühmtem Buch „Deutschland so oder so?" – wobei das eine „so" auf dem Titel durch das Hakenkreuz illustriert war, das andere durch Hammer und Sichel. Augenscheinlich gab es keine dritte Möglichkeit.
Begegnung mit Marx, Engels und Lenin
Ich tat meine Arbeit und schrieb über Elektronen, Chromosomen, Raketenschiffe, Neanderthaler und Spiralnebel; doch der zunehmende Druck der politischen Ereignisse wurde bald unentrinnbar. Bei einer Arbeitslosenzahl von rund einem Drittel aller Lohnempfänger lebte Deutschland in einem Zustand latenten Bürgerkrieges, und wenn man nicht als untätiges Opfer von dem nahenden Sturm hinweggefegt werden wollte, war es unumgänglich, sich politisch zu entscheiden. Stresemanns Partei war tot, die Sozialdemokraten betrieben eine Politik opportunistischer Kompromisse; die Kommunisten, hinter denen die mächtige Sowjetunion stand, schienen die einzige Kraft, um dem Ansturm der primitiven Horden mit dem Hakenkreuztotem Widerstand zu leisten. Doch es war nicht diese defensive Erwägung, die mich zur KPD hinzog. Ich war der Elektronen und Protonen satt und hatte begonnen, mich ernsthaft mit Marx, Engels und Lenin zu beschäftigen. Die Lektüre des „Feuerbach" und vor allem von Lenins „Staat und Revolution" löste in mir die seit langem fällige geistige Explosion aus. Der Ausdruck, es sei einem plötzlich „ein Licht aufgegangen", ist eine armselige Bezeichnung für das geistige Entzücken, das dem Bekehrten widerfährt – ganz gleich, zu welchem Glauben er bekehrt worden ist. Das neue Licht scheint von allen Seiten in die Schädelhöhle hereinzudringen; die verwirrende Fülle der Erscheinungen nimmt plötzlich eine faßbare Gestalt an, als hätte ein Zauberstab die verstreuten Mosaikstücke eines Puzzle-Spiels mit einem Schlag zusammengefügt. Von nun an gibt es auf jede Frage eine Antwort; Zweifel und Konflikte gehören der qualvollen Vergangenheit an, jener weit zurückliegenden Vergangenheit, als man noch in schmachvoller Unwissenheit in der faden, farblosen Welt der Uneingeweihten gelebt hat. Von jetzt an ist die innere Ruhe und Heiterkeit des Bekehrten durch nichts mehr zu gefährden – höchstens noch durch gelegentliche Anwandlungen der Furcht, er könne den Glauben wieder verlieren und damit alles dessen verlustig gehen, was das Leben allein lebenswert macht, um in die Dunkelheit zurückzustürzen, wo Heulen und Zähneklappern herrscht. Damit allein läßt sich vielleicht erklären, daß Leute, die an und für sich sehen und denken können, noch im Jahre 1950 guten Glaubens der kommunistischen Bewegung treu bleiben können. Es war stets nur eine kleine Minderheit in der Geschichte, die mit der Gefahr der Exkommunizierung zu spielen und im Namen einer abstrakten Wahrheit seelisches Harakiri zu begehen vermochte.
Mein Eintritt in die Partei
Das Datum meines Aufnahmegesuches an die Kommunistische Partei Deutschlands ist leicht zu behalten; es war der 31. Dezember 1931. Das neue Leben sollte mit dem neuen Kalenderjahr beginnen. Ich bewarb mich vermittels eines an das Zentralkomitee der KPD gerichteten Schreibens, das einen kurzen Lebenslauf enthielt und in dem ich mich bereit erklärte, der guten Sache in jeder von der Partei beschlossenen Eigenschaft zu dienen.
Es war nicht gebräuchlich, sich zu diesem Zweck direkt an das
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