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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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mir mit, daß Herr Ernst Schneller noch nicht eingetroffen sei, und bat mich, Platz zu nehmen und zu warten. Ich wartete – über ein halbe Stunde. Es war meine erste Erfahrung mit der Unpünktlichkeit, die in den höheren Parteikreisen zum guten Ton gehörte. Die Russen sind als halbe Orientalen von Natur aus unpünktlich, und da jeder Parteibürokrat bewußt oder unbewußt nach russischem Muster zu leben trachtete, begann die Angewohnheit allmählich von der obersten Komintern-Bürokratie bis in die einzelnen Parteiorganisationen der Länder durchzusickern.
    Schließlich erschien er. Wir stellten uns einander auf kontinentale Weise vor, indem er: „Schneller" und ich: „Koestler" schnarrte, schüttelten uns die Hände, und nach einer oberflächlichen Entschuldigung für seine „kleine" Verspätung lud er mich in ein Café auf der anderen Straßenseite ein. Schneller war ein hagerer, knochiger Mann von ungefähr 35 Jahren, mit einem schmalen, straff gespannten Gesicht und einem linkischen Lächeln. Sein Benehmen war ebenso unbeholfen; er schien sich die ganze Zeit hindurch etwas unbehaglich zu fühlen. Ich hielt ihn für einen untergeordneten kleinen Parteiangestellten und erfuhr erst später, daß er wirklich Ernst Schneller hieß – und daß er „der" Schneller war, Mitglied des deutschen Zentralkomitees und Leiter des „Agitprop" (der Abteilung für Agitation und Propaganda). Außerdem war er, wie ich noch später erfuhr, Leiter des „Apparat N" [2] , einer der vier oder fünf unabhängig und parallel nebeneinander arbeitenden Geheimorganisationen, die teils von der KPD, teils direkt von der GPU unterhalten wurden. Worin die Aufgaben des Schnellerschen Apparats im einzelnen bestanden – ob in der Beschaffung militärischer Informationen oder lediglich in harmloser Industriespionage —, habe ich bis auf den heutigen Tag nicht in Erfahrung bringen können. Schneller selbst wurde von den Nationalsozialisten zu sechs Jahren Zwangsarbeit verurteilt und starb eines natürlichen oder gewaltsamen Todes im Zuchthaus.
    Von all dem hatte ich natürlich keine Ahnung, als ich diesem unbedeutend wirkenden hageren Mann in den dürftigen Räumen der Papierfabrik gegenüberstand und meine erste Berührung mit der Partei hatte. Von unserem Gespräch in dem kleinen Café ist mir in Erinnerung geblieben, daß er erwähnte, Vegetarier zu sein und hauptsächlich von rohem Gemüse und Obst zu leben, was mir eine Erklärung für sein knochiges, ausgedörrtes Gesicht abzugeben schien. Ich erinnere mich auch, daß er auf meine Frage, ob er einen bestimmten Zeitungsartikel gelesen habe, zur Antwort gab, er lese keine bürgerlichen Blätter, die einzige Zeitung, die er lese, sei das offizielle Parteiorgan Die Rote Fahne . Dies bestärkte mich in der Überzeugung, daß mir das Zentralkomitee irgendeinen kleinen und engstirnigen Bürokraten geschickt hatte; die absurde Tatsache, daß die KPD einen Propagandachef ihr eigen nannte, der nur seine eigene Zeitung las, dämmerte mir erst später, als ich von Schnellers offiziellen Funktionen erfuhr. Er stellte nicht viele Fragen, erkundigte sich aber recht eingehend nach der Stellung, die ich bei Ullstein innehatte. Ich teilte ihm meinen Wunsch mit, meinen Posten aufzugeben und nur noch für die Partei zu arbeiten, sei es als Propagandist oder, noch lieber, als Traktorführer in der Sowjetunion (es war die Zeit der Zwangskollektivierung, und die sowjetische Presse verlangte verzweifelt nach Traktoristen). Mein Freund N. hatte mich bereits vor dieser fixen Idee gewarnt, die er als „typisches Zeichen kleinbürgerlicher Romantik" bezeichnete, und mir zu verstehen gegeben, daß ich mich lächerlich machen würde, wenn ich irgendeinem Parteibeamten damit käme. Aber ich hielt ihn in dieser Hinsicht für einen Zyniker und konnte nicht begreifen, warum man nicht ein oder zwei Jahre lang Traktorist sein sollte, solange dies zu den dringendsten Erfordernissen an der Front des sozialistischen Aufbaus gehörte. Schneller versuchte mir jedoch geduldig zu erklären, daß es die vordringlichste Pflicht eines jeden Kommunisten sei, in seinem eigenen Lande für die Revolution zu arbeiten; in die Sowjetunion hineingelassen zu werden, wo die Revolution bereits gesiegt habe, sei ein seltenes, den Veteranen der Bewegung vorbehaltenes Privileg. Ebenso falsch wäre es, wenn ich meinen Posten aufgäbe; ich würde der Partei von sehr viel größerem Nutzen sein, wenn ich ihn weiter beibehielte und nichts über

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