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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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Zentralkomitee zu wenden; ich tat es auf Anraten von Freunden, die in enger Verbindung mit der Partei standen. Der normale Weg war, in eine der Parteizellen, die Grundeinheiten der Parteiorganisation, einzutreten. Es gab zwei Arten von Zellen: „Betriebszellen", die alle Parteimitglieder einer bestimmten Fabrik, Werkstatt, eines Büros oder anderen Unternehmens umfaßte, und „Straßenzellen", die nach Wohnblocks organisiert waren. Der größte Teil aller Lohnempfänger gehörte gleichzeitig den Betriebszellen ihrer Arbeitsplätze und den Straßenzellen ihrer Wohnorte an. Dieses System wurde damals in allen Ländern angewandt, in denen die Partei ein legales Dasein führte. Es war ein eisernes Gesetz, daß jedes Parteimitglied, wie hoch sein Platz auch in der Rangordnung sein mochte, einer solchen Zelle angehören mußte. Es gäbe, so wurde uns erzählt, selbst im Kreml eine Betriebszelle, in der die Angehörigen des Politbüros mit den Wachen und den Reinemachefrauen bei der üblichen wöchentlichen Zusammenkunft in brüderlicher Demokratie die Politik der Partei erörterten und in der Stalin einen Anpfiff bekäme, wenn er mit seinem Mitgliedsbeitrag im Rückstand sei.
    Mein Freund N., der eine entscheidende Rolle bei meiner Bekehrung gespielt hatte, riet mir jedoch dringend davon ab, auf gewöhnliche Weise in eine Zelle einzutreten. (Ich nenne ihn N,. weil er vor vielen Jahren aus der Partei ausgetreten ist und heute in einem Lande lebt, wo selbst eine längst begrabene und abgeschworene kommunistische Vergangenheit einem Ausländer Schwierigkeiten bereiten könnte). N. war ein früherer Klempnerlehrling, der durch Abendkurse und verbissenes, nächtelanges Lesen sich eine gute Allgemeinbildung angeeignet und später einen Namen als politischer Schriftsteller gemacht hatte. Er kannte seinen Marx und Lenin in- und auswendig und verfügte über den absoluten Glauben, der eine so hypnotische Macht über das Denken anderer Menschen ausübt. „Sei nicht verrückt", erklärte er mir, „sobald du in eine Zelle eingetreten bist und es bekannt wird, daß du der KPD angehörst, bist du deine Stellung bei Ullstein los. Und diese Stellung ist für die Partei von großer Bedeutung."
    Ich muß hier ergänzen, daß ich inzwischen noch zum außenpolitischen Redakteur der B.Z. am Mittag ernannt worden war – ein Posten, der einen gewissen politischen Einfluß mit sich brachte und Zugang zu vertraulichen politischen Informationen verschaffte.
    So schrieb ich denn, auf meines Freundes Rat, direkt an das Zentralkomitee.
    Etwa eine Woche später kam die Antwort in Gestalt eines recht seltsamen Briefes. Er war mit der Schreibmaschine auf einen neutralen, anschriftslosen Bogen ohne Kopf geschrieben und lautete ungefähr folgendermaßen:
     
Sehr geehrter Herr,
       bezugnehmend auf Ihr geschätztes Schreiben vom 31. Dezember würden wir es sehr begrüßen, wenn Sie am nächsten Montag um 15 Uhr mit einem Vertreter unserer Firma, Herrn Schneller, in den Räumen der Papierfabrik Schneidemühl,
straße, zusammenkommen könnten.
                    Hochachtungsvoll
                     (Unleserlich)
     
    Die Papierfabrik Schneidemühl war eine der bekanntesten in Deutschland, aber ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß sie irgend etwas mit der KPD zu tun hatte. Welches Verhältnis da bestand, weiß ich auch heute noch nicht; auf jeden Fall bleibt die Tatsache bestehen, daß die Berliner Büros dieser Firma für unauffällige, vertrauliche Zusammenkünfte benutzt wurden. Ich begriff zwar nicht ganz, was diese konspiratorische Geheimnistuerei sollte, fand sie aber nichtsdestoweniger sehr aufregend. Als ich zur festgesetzten Zeit bei Schneidemühl eintraf und mich nach Herrn Schneller erkundigte, bedachte mich das Mädchen an der Auskunft mit einem Blick, den man gewöhnlich als „durchdringend" beschreibt, während er genau genommen eher etwas von dem Starren eines Schellfisches hat. Ich bin diesem Blick seither in vielen ähnlichen Situationen begegnet; wo immer der Wunsch nach brüderlicher Verbundenheit von Mißtrauen und Furcht überschattet wird, tauschen die Menschen keine „durchdringenden" oder „abschätzenden" Blicke aus, sondern glotzen sich trüb und ausdruckslos wie Fische an.
    „Haben Sie eine Verabredung mit Ernst?" fragte sie.
    „Nein – mit Herrn Schneller."
    Diese stupide Bemerkung schien sie irgendwie von meiner Vertrauenswürdigkeit zu überzeugen. Sie teilte

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