Ein Gott der keiner war (German Edition)
Ereignisse in Schanghai für die deutsche Arbeiterklasse größere Bedeutung besaßen als die Vorgänge in Berlin; und der anerkennende Klaps auf die Schulter, den ich von der Bezirksleitung dafür erhielt, läßt mein Herz noch heute höher schlagen – dagegen kann ich halt nichts tun ...
Die proletarischen Mitglieder der Zelle hörten sich mit mißtrauisch zusammengekniffenen Augen die Argumente an, mit denen wir Intellektuellen unsere Übereinstimmung begründeten; dann pflegte, nach einigem Sich-in-die-Rippen-Stoßen, einer von ihnen aufzustehen, um in absichtlich unbeholfener Art die Losungen aus dem Referat des Instruktors zu wiederholen. Er wurde in feierlichem Schweigen angehört, setzte sich unter beifälligem Gemurmel seiner Zuhörer wieder hin, und der Instruktor wies dann in seinem Schlußwort darauf hin, daß von allen Rednern Genosse X das Problem am korrektesten und konkretesten formuliert habe.
Die Partei resigniert
Ich erwähnte bereits, daß der Sommer 1932 eine Übergangsperiode war; die Partei bereitete sich darauf vor, in die Illegalität zu gehen, und nahm eine Umgruppierung ihrer Kader vor. Wir konnten über Nacht verboten werden; alles mußte für diesen Notfall bereit sein. Sobald er eintrat, sollten alle Zellen aufgelöst und durch ein neues, das ganze Land umfassendes Organisationsgefüge, die sogenannten Fünfergruppen ersetzt werden. Die bisherigen Zellen, deren Mitgliederzahl zwischen zehn und dreißig Genossen schwankte, waren für die konspirative Arbeit zu groß und boten zu viele Möglichkeiten für das Eindringen von Provokateuren und Spitzeln. Die Aufteilung der Kader in Fünfergruppen bedeutete eine organisatorische Dezentralisierung und eine entsprechende Verminderung des Risikos. Nur dem Führer der Gruppe sollten Namen und Anschriften der übrigen vier bekannt sein; und er allein wiederum hatte Verbindung mit der nächsthöheren Stelle der Parteihierarchie. Wurde er verhaftet, so konnte er lediglich die vier Angehörigen der Gruppe und seinen Verbindungsmann verraten.
So wurde denn jedes Parteimitglied, obschon die Zellen noch weiterarbeiteten, insgeheim einer Fünfergruppe zugeteilt, wobei man bemüht war, keine dieser Gruppen von der Zusammensetzung der anderen wissen zu lassen. Da wir jedoch alle Nachbarn im gleichen Wohnblock waren, wußten wir praktisch ganz genau, welche Gruppe heimlich in wessen Wohnung zusammenkam; und in der Nacht des Reichstagsbrandes, als Göring der Kommunistischen Partei den Todesstreich versetzte, sollte das ganze sorgfältig aufgebaute Gebäude überall im Reich wie ein Kartenhaus zusammenstürzen. Doch damals vertrauten wir noch der konspirativen Schulung unserer Führer; und obgleich jeder von uns Bücher über die Technik des bewaffneten Aufstandes gelesen hatte, waren unsere kritischen Fähigkeiten doch bereits so stumpf geworden, daß niemand die katastrophale Bedeutung des Fünfergruppenplanes erkannte. Denn in Wirklichkeit konnten alle diese Vorbereitungen auf eine lange Periode in der Illegalität mit kleinen dezentralisierten Gruppen nur bedeuten, daß unsere Führer den Sieg des Nationalsozialismus als unvermeidlich ansahen. Und die Aufteilung der Kader in kleinere Einheiten deutete ferner darauf hin, daß die Partei der Machtübernahme durch Hitler keinen offenen, bewaffneten Widerstand entgegensetzen würde, sondern sich stattdessen auf sporadische, örtlich begrenzte Kleinaktionen vorbereitete.
Kleinkrieg mit der SA
Doch wir, die große Masse der Parteimitglieder, verstanden diese Zeichen nicht zu deuten. Während jenes langen, erstickend heißen Sommers von 1932 trugen wir unsere Scharmützel mit den Nationalsozialisten aus. Kaum ein Tag ging ohne einen oder zwei Tote vorüber. Die Hauptschlachtfelder waren die Bierstuben und verräucherten kleinen Kneipen in den Arbeitervierteln. Einige von ihnen dienten den Nationalsozialisten als Versammlungsort, einige wurden von uns selbst als „Verkehrslokale" benutzt. Die falsche Kneipe zu betreten, kam einem Einbruch in feindliche Linien gleich. Von Zeit zu Zeit pflegten die Nationalsozialisten eines unserer Verkehrslokale zusammenzuschießen. Das spielte sich nach dem klassischen Gangstervorbild Chicagos ab: ein Rollkommando von SA-Leuten fuhr langsam an der Kneipe vorbei und schoß durch die Schaufensterscheiben, um dann mit Vollgas abzuhauen. Uns standen sehr viel weniger Autos zur Verfügung als der SA, und Vergeltungsmaßnahmen wurden meist in gestohlenen
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