Ein Gott der keiner war (German Edition)
oder von Sympathisierenden ausgeliehenen Wagen besorgt. Die Männer, die diese Aktionen durchführten, gehörten dem „Roten Frontkämpfer-Bund" an. Mein eigener Wagen wurde mitunter von Genossen ausgeliehen, die ich nie zuvor gesehen hatte, und einige Stunden später zurückgebracht, ohne daß ich Fragen stellte oder Erklärungen erhielt. Es war ein winziger roter Fiat-Roadster, Modell 509, der auf den Namen „Malchen" hörte und für solche Zwecke denkbar schlecht geeignet war, aber in unserer Zelle besaß sonst niemand einen Wagen. „Malchen" war das letzte Andenken an meine bourgeoise Vergangenheit; jetzt stand sie im Dienst der proletarischen Revolution. Ich brachte die Hälfte meiner Zeit damit zu, durch die Gegend zu fahren und die verschiedensten Aufträge zu erledigen: wir transportierten Broschüren und Flugblätter, beschatteten gegnerische Fahrzeug; deren Nummern uns mitgeteilt worden waren, und dienten als Sicherheitseskorte; einmal mußte ich die Bestandteile einer kompletten Handdruckmaschine von einem Bahnhof in den Keller unter einem Gemüsegeschäft schaffen.
Die RFB-Genossen, die sich den Wagen für ihre Guerilla-Expeditionen abholten, waren manchmal ziemlich finstere Typen aus der Berliner Unterwelt. Sie wurden telephonisch oder mündlich von der Bezirksleitung angekündigt, aber selten tauchte derselbe Mann zweimal bei mir auf. Bisweilen erhielt ich bei harmloseren Missionen Befehl, selbst am Steuer zu sitzen. Wir fuhren dann langsam an einer Reihe von SA-Lokalen vorbei, um zu beobachten, was dort vorging, oder patrouillierten vor einem unserer eigenen Lokale, wenn uns ein Spitzel im Lager der Nationalsozialisten vor einem bevorstehenden überfall gewarnt hatte. In solchen Fällen pflegten wir mit abgestellten Scheinwerfern und laufendem Motor in der Nähe der Kneipe zu warten; sobald sich ein anderer Wagen näherte, vernahm ich das Klicken der Sicherungsflügel an den Pistolen meiner Fahrgäste und den freundlichen Rat, „die Bonje einzuziehen". Aber es kam in meinem Beisein nie zu einer Schießerei.
Einmal trieben die RFB-Genossen, die meinen Wagen abholen kamen, die Vorsicht so weit, sich vor dem Aufbruch in meiner Wohnung zu verkleiden. Sie klebten sich falsche Schnurrbärte an, setzten sich Brillen und „Melonen" auf und zogen sich dunkle Jacken an. Ich sah ihnen nach, als sie abfuhren – vier stattliche Herren mit steifen Hüten in dem kleinen roten Auto, wie Teilnehmer an einer Beerdigungsprozession. Vier Stunden später waren sie zurück, zogen sich wieder normal an und verabschiedeten sich wortlos mit einem Händedruck. Im Falle meine Wagennummer bei einer dieser Aktionen von der Polizei aufgeschrieben würde, hatte ich zu sagen, der Wagen sei gestohlen und von mir in einer Seitenstraße wiederaufgefunden worden.
Von Zeit zu Zeit ging das Gerücht, die Nationalsozialisten beabsichtigten, unseren „Roten Block" zu überfallen, wie sie bei früheren Gelegenheiten schon andere Hochburgen des Kommunismus angegriffen hatten. Dann wurden wir alarmiert, und einige RFB-Leute erschienen, um einen Wachdienst einzurichten. In einer kritischen Nacht lagen ungefähr dreißig mit Pistolen, Bleirohren und Totschlägern bewaffnete Männer in meiner winzigen Wohnung in Bereitschaft. Es war zufällig am selben Abend, als mein Freund Ernst aus Wien zu einem mehrtägigen Besuch eintraf. Ernst war ein junger Wissenschaftler, von schüchternem Benehmen und einem messerscharfen Intellekt. Die Bude war blau von Zigarettenqualm, überall saßen oder lagen Männer herum – auf den Betten, auf der Erde, unter dem Ausguß in der Küche; – dazwischen Bleirohre, Biergläser und Totschläger. Als ich an der Reihe war, auf der Straße auf und ab zu patrouillieren, nahm ich Ernst mit. „Was soll diese ganze Räuberromantik?" fragte er mich. Ich erklärte es ihm. „Ich weiß, ich weiß", sagte er, „aber was hast du aus deinem Leben gemacht?" – „Ich helfe die Revolution vorzubereiten", erwiderte ich stolz und fröhlich. „Es sieht nicht danach aus", sagte er. – „Warum?" – „Ich weiß nicht", erklärte er zweifelnd. „Ich habe natürlich keine Ahnung, wie Revolutionen gemacht werden. Aber die ganze Szene dort oben sieht eher aus wie das Lager einer geschlagenen Armee."
Selbstmord durch Sturheit
Er hatte recht; wir hielten uns für den Vortrupp der Revolution und waren in Wirklichkeit die Nachhut der schon in Auflösung befindlichen Arbeiterbewegung. Wenige Wochen später, am 20.
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