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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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Juli, inszenierte von Papen seinen Staatsstreich: ein Leutnant und acht Mann jagten die sozialdemokratische preußische Regierung aus dem Amt. Die Sozialdemokratische Partei mit ihren über acht Millionen Anhängern rührte sich nicht. Die von ihr beherrschten Gewerkschaften proklamierten nicht einmal einen Proteststreik. Nur wir Kommunisten, die wir noch ein Jahr zuvor zusammen mit den Nationalsozialisten dieselbe preußische Regierung bekämpft hatten und die wir die Sozialdemokraten immer wieder als Hauptfeind der Arbeiterklasse denunzierten – wir riefen jetzt zum sofortigen Generalstreik auf.
    Unser Ruf traf in ganz Deutschland auf taube Ohren. Unsere Losungen waren wie Inflationsgeld geworden; die Massen nahmen sie nicht mehr ernst. Und so verloren wir die Schlacht gegen Hitler, noch ehe sie begonnen hatte. Nach dem 20. Juli 1932 war es jedem außer uns selber klar, daß die KPD, die stärkste kommunistische Partei Europas, ein kastrierter Riese war, dessen Geprahle bloß dazu diente, seine Impotenz zu tarnen.
    Am Tage nach dem geplatzten Generalstreik verkündete die Parteipresse, er sei ein mächtiger Sieg gewesen; indem sie angesichts der sozialdemokratischen Untätigkeit zu diesem Streik aufgerufen habe, hätte unsere Partei den Verrat der sozialfaschistischen Führer ein für allemal bloßgestellt. Einige Monate später war alles vorbei. Die jahrelange konspirative Schulung und all die sorgfältig geplanten Vorbereitungen für die Entscheidung erwiesen sich innerhalb weniger Stunden als völlig nutzlos. Der Riese wurde von seinen tönernen Füßen gestoßen und zerbrach wie ein Karnevalsungetüm. Thälmann, der Führer der Partei, und die Mehrzahl seiner engeren Mitarbeiter wurden schon in den ersten Tagen in ihren Verstecken aufgestöbert und verhaftet. Das Zentralkomitee emigrierte. Die lange Polarnacht senkte sich auf Deutschland herab; sie hat auch heute, siebzehn Jahre später, noch kein Ende genommen.
    Doch jetzt, da Hitler an der Macht, Thälmann im Gefängnis war, Tausende von Parteimitgliedern ermordet und Zehntausende ins KZ geschleppt worden waren – jetzt endlich wurde sich die Komintern ihrer Verantwortung bewußt. Die Parteitribunale des Auslandes und GPU-Kollegien in der Sowjetunion saßen erbarmungslos über den „inneren Feind" zu Gericht – über die Banditen und Agenten des Faschismus, die gegen die offizielle Parteilinie muckten, derzufolge die Sozialdemokratische Partei noch immer Hauptfeind der deutschen Arbeiterklasse war und die Kommunistische Partei keine Niederlage erlitten, sondern lediglich einen strategischen Rückzug angetreten hatte.
    Gewöhnlich versieht die Erinnerung die Vergangenheit mit einer romantischen Aureole. Hat man aber einem Glauben abgeschworen oder ist man von einem Freund verraten worden, so verhält es sich gerade umgekehrt. Im Lichte späterer Erkenntnis büßt das ursprüngliche Erlebnis seine Unschuld ein, es ist in unserem Gedächtnis ranzig geworden. Ich habe auf diesen Seiten versucht, die Stimmung wieder einzufangen, in der ich diese Ereignisse erlebt habe, und ich bin mir bewußt, daß dies mißlungen ist. Scham, Zorn und Ironie mengen sich in die Darstellung ein; die Begeisterung von damals erscheint als klägliche Verwirrung; die innere Gewißheit jener Tage als die Phantasie eines Rauschgiftsüchtigen; auf den Tummelplätzen der Erinnerung liegt der Schatten des Stacheldrahts. Wir alle, die wir uns von der großen Illusion unserer Zeit einfangen ließen und ihre moralischen und geistigen Ausschweifungen durchlebten, verfallen entweder dem entgegengesetzten Extrem oder sind zu einem lebenslänglichen Katzenjammer verurteilt. Daher auch der tiefe innere Widerstand des politischen Opiomanen gegen die Entwöhnungskur.
     
     
    Meine Reise nach Sowjetrußland
     
    Im Spätsommer 1932 wurde mir endlich das Einreisevisum für die Sowjetunion bewilligt. Ich erhielt es dank einer Einladung des „Internationalen Verbandes revolutionärer Schriftsteller", das Land zu bereisen und ein Buch darüber zu schreiben. Das Buch sollte heißen: „Ein Bürger reist durchs Sowjetland"; es sollte schildern, wie Herr K., ein bürgerlicher Reporter mit antisowjetischen Vorurteilen, durch die Erfolge des sozialistischen Aufbaus allmählich zum Kommunismus bekehrt wird und als Genosse K. heimkehrt.
    Ich reiste sechs Monate vor der Machtergreifung Hitlers nach Sowjetrußland ab, ausgerüstet mit einer Empfehlung an die Genossin Gopner, die damals dem Agitprop des EKKI

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