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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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150 000 verkaufte Exemplare. Wenn er sehr ehrlich ist, wird der geehrte Gast errötend eingestehen, daß dies ungefähr fünfzehnmal soviel Exemplare sind, als der Berechnung von Barvorschüssen bei bekannten europäischen Schriftstellern zugrunde liegen. Nun ja, erklärt ihm der Direktor mit einem Lächeln, das sei eben die Praxis der kapitalistischen Verleger. In der Sowjetunion jedoch gehörten alle Verlage dem Volk, und der Sowjetbürger kaufe im Durchschnitt 231,57 Prozent mehr Bücher als der Amerikaner; am Ende des zweiten Fünfjahresplanes werde man 365 Prozent und mehr erreichen. So sei es nur natürlich, daß geachtete Schriftsteller in der Sowjetunion statt wie in kapitalistischen Ländern in Dachkammern zu hausen, Zwei-Zimmer-Wohnungen mit eigener Toilette besitzen, nicht zu reden von ihren Autos und ihren Sommerhäusern. Unser Besucher ist von der Unterstellung, daß er in einer Dachkammer hause, etwas peinlich berührt; das aber ist, so versichert er sich, kleinbürgerliche Eitelkeit. Er unterschreibt den Vertrag und fährt einige Tage später wieder nach Hause, um zu verkünden, daß Sowjetrußland das Paradies der Schriftsteller sei, und daß schöpferischen Künstlern nirgendwo sonst in der Welt – und so weiter, und so weiter. Obzwar er die Rubel nicht mitnehmen kann, da sie nicht konvertierbar sind, kann er einige ganz anständige Buchara-Teppiche einkaufen und den Rest des Geldes in der Moskauer Staatsbank deponieren; das verschafft ihm das angenehme Gefühl, einen kleinen Spargroschen im sozialistischen Sechstel der Erde auf der Kante liegen zu haben. In Ausnahmefällen ist der staatliche Verlagstrust sogar ermächtigt, einen Teil der Summe in die heimatliche Währung des Autors umzutauschen und sie ihm in monatlichen Raten zu überweisen. Ich weiß von zwei deutschen Emigrantenschriftstellern in Frankreich, die jahrelang solche Schecks bezogen, obgleich der eine von ihnen nie ein Buch in Sowjetrußland veröffentlicht hat. Beide waren kluge und leidenschaftliche Kritiker der Korruption in den westlichen Demokratien; keiner von ihnen hat je ein Wort der Kritik gegen das Sowjetregime geschrieben. Ich will damit beileibe nicht sagen, daß sie bestochen waren; mit so groben Machenschaften wollen wir uns hier nicht befassen. Viel interessanter ist die Dialektik des Unbewußten – jene subtile innere Stimme, die dem Autor zuflüstert, daß die Verleger in der kapitalistischen Welt korrupte Zyniker sind, denen es gänzlich egal ist, was ihre Autoren schreiben, solange sich nur ihre Bücher verkaufen lassen, während die sowjetischen Verleger das Sowjetvolk verkörpern und sich daher mit Recht jede Kritik an ihrem freien Lande verbitten können.
     
     
    Mißtrauen, Terror und Apathie
     
    Mein Aufenthalt in der Sowjetunion dauerte ein Jahr, das ich zur Hälfte mit Reisen verbrachte und zur Hälfte – in Charkow und Moskau – mit der Arbeit an meinem Buch. Die deutsche Ausgabe erschien, unter einem anderen Titel, in Charkow; die russischen, georgischen und armenischen Übersetzungen haben, soviel ich weiß, niemals das Licht der Welt erblickt.
    Meine Reisen führten mich durch die Industriegebiete längs der Wolga, dann nach Süden durch die Ukraine und über die transkaukasischen Republiken – Georgien, Armenien und Aserbeidschan – nach Baku; über das Kaspische Meer und durch die Zentralasiatischen Republiken – Turkmenistan und Usbekistan – bis hinunter an die afghanische Grenze; dann über Taschkent und Kasakstan zurück nach Moskau. Was ich sah und erlebte, war für mich ein harter Schock – aber gleichsam ein Schock mit Zeitzündung. Meine Parteierziehung hatte mich mit so kunstvollen geistigen Stoßdämpfern und dialektischen Wattepolstern ausgestattet, daß alles Gesehene und Gehörte sich automatisch in den vorgefaßten Rahmen fügte.
    Ich sprach Russisch ziemlich fließend, aber obwohl ich ohne Begleitung reiste, gab es, außer mit den offiziellen Organen, wenig Gelegenheit, es zu üben; der gewöhnliche Sowjetbürger weiß, daß es der Berührung eines Leprakranken gleichkommt, wenn er im Gespräch mit einem Ausländer beobachtet wird. Wer sich mit mir in Restaurants und Eisenbahnabteilen auf ein Gespräch einließ, bediente sich der stereotypen Klischees aus den Leitartikeln der Prawda ; man hätte glauben können, die fertigen Sätze aus einer Konversationsgrammatik zu hören. Doch ich verzeichnete das beifällig: es war ein gesundes Zeichen revolutionärer Disziplin und

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