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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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unterscheidet sich erheblich von seiner dreißig Jahre zuvor in „Les Nourritures Terrestres" vertretenen rein individualistischen und persönlichen Freiheitsauffassung. Er spricht nun von einer „liberté serviable mais non servile" – einer Freiheit, die wohl dienen, aber nicht Sklave sein will. In seinem 1931 herausgekommenen Drama „Oedipe" verwies er durch das Schicksal des Helden auf die totale und endgültige Vernichtung, die unweigerlich jeden Menschen erwarte, der nichts Höheres kenne als sich selbst und der die persönliche Freiheit über alles andere stelle. Ödipus erfreut sich zunächst aller Vorzüge und Nachteile, die Gide für die unerläßlichen Voraussetzungen für das freie Individuum hält, und der Grieche ist stolz und glücklich, daß ihn nichts an Familie und Tradition bindet, daß er ganz und gar er selbst sein kann. Dennoch ereilt ihn schließlich das Schicksal, gerade weil er versucht, ausschließlich sich selbst zu leben und zu genügen. Dieser seelische Bankerott führte André Gide zwangsläufig zu der Erkenntnis, daß der Mensch ohne Gott zu Untergang und Verzweiflung verurteilt sei, wenn er den Gottesgedanken nicht durch etwas Gleichwertiges ersetze. Ödipus verleugnet zum Schluß Gott um des Menschen willen; Gide meinte, die Rettung im Kommunismus zu finden. Er kam jetzt zu der Überzeugung, daß die Freiheit an sich nicht genüge, daß sie sich selbst zerstören müsse, wenn man sie nicht mit einem über den Egoismus und den Ausdruck ihrer selbst hinausgehenden Wert verbinde, eben mit dem Ideal der Pflicht. Nach einer Verpflichtung, einer Verantwortung suchend, meinte er, im Kommunismus die Antwort finden zu können. Er bildete sich ein, in diesem System mit seiner Opferbereitschaft und Disziplin den vollkommenen Ausdruck der Persönlichkeit, die vernünftigste, die vollständige und absolute Form der Freiheit vor sich zu haben. „Der Triumph der Persönlichkeit", sagte er, „liegt in dem Verzicht auf den Individualismus." Später, im Jahre 1935, erklärte er in „Les Nouvelles Nourritures Terrestres": „Ein Mensch, der kein anderes Ziel kennt als sich selbst, leidet unter einer entsetzlichen Leere."
    André Gides Interesse für Rußland war indessen keineswegs neu. Schon vor dem ersten Weltkriege hatte er sich mit Dostojewski befaßt und 1921 zu dessen hundertstem Geburtstag eine Reihe von Vorträgen über ihn gehalten. Damals glaubte er, einen hellen Hoffnungsstrahl durch die Dunkelheit dringen zu sehen, die seit der Revolution über Rußland lag. In seinen Augen opferte sich Rußland, um die Welt und die Menschheit zu erlösen. Zehn Jahre später aber hielt Gide diese Erlösung bereits für errungen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Gide als ein Mensch gegolten, der nicht sich festzulegen oder eine Wahl zu treffen bereit war. Jetzt bekannte er sich kompromißlos zu der kommunistischen Methode, die Welt von ihren Übeln zu erlösen. Es war eine Art religiöser Bekehrung, die sich an ihm und in ihm vollzog, eine Bekehrung, die weniger in den Bereich des Verstandes als des Gefühls gehörte: „Ich fühle mich nur mit denen brüderlich verbunden, die auf dem Wege der Liebe zum Kommunismus gefunden haben", schrieb er in sein „Tagebuch". 1931 fügte er hinzu: „Am liebsten riefe ich meine Sympathie für die Sowjetunion laut hinaus, in der Hoffnung, daß mein Ruf gehört werde und seine Wirkung tue. Ich wünschte, ich erlebte den Triumph der ungeheuren Anstrengungen, die, wie ich von ganzem Herzen hoffe, von Erfolg gekrönt sein werden, und an denen ich mit meiner Arbeit teilhaben möchte." Obwohl Gide durchaus willens war, einen Teil seiner geheiligten Individualität zu opfern, glaubte er nicht, daß es unbedingt zu einem solchen Opfer kommen müsse, und im Jahre 1932 äußerte er, er sehe keinen Grund, weshalb Individualismus und Kommunismus miteinander in Konflikt geraten sollten. „Ich bin und bleibe überzeugter Individualist", sagte er,
„aber ich halte es für einen schweren Irrtum, wenn gewisse Leute den Versuch machen, zwischen dem Kommunismus und dem Individuum einen Gegensatz zu konstruieren. Der feste Glaube, daß man Kommunist und Individualist zugleich sein kann, ja sein muß, schließt nicht aus, daß man sich gegen soziale Privilegien, gegen Bevorteilungen auf Grund von Geburt oder Herkunft und gegen all die anderen Verirrungen des kapitalistischen Systems auflehnt, in die unsere westliche Welt noch immer verstrickt ist, und die sie eines Tages in den Abgrund

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