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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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am Vaterland der Werktätigen wahrnehmen. So kommt es, daß Wahrheiten über die Sowjetunion mit haßerfüllter Stimme und Unwahrheiten im Tone der Liebe geäußert werden. Ich persönlich bin so veranlagt, daß sich meine größte Strenge gerade gegen diejenigen richtet, mit denen ich am liebsten immer einverstanden wäre, und meines Erachtens bringt nicht der seine Liebe am besten zum Ausdruck, der nur zu loben weiß. Ich glaube, daß ich der Sache, die die Sowjetunion vertritt, mehr und wirksamer diene, wenn ich offen spreche, ohne übertriebene Vorsicht und Rücksicht. Ich persönlich hatte auf meiner Rußlandreise keinerlei Veranlassung, mich zu beklagen – entgegen den „Erklärungen", mit denen man meine Kritik abzuschwächen oder ganz und gar zu entwerten versuchte. Nur zu oft hat man meine abfälligen Bemerkungen über die Zustände in der Sowjetunion als persönlichen Groll und Enttäuschung ausgelegt. Nichts könnte indessen absurder sein, denn nirgends bin ich großartiger und luxuriöser gereist als in Sowjetrußland. überall standen mir die bequemsten Autos zur Verfügung, in den Eisenbahnzügen Sonderwagen, die besten Zimmer in den Hotels und das vorzüglichste Essen, das man sich denken kann. Wohin ich kam – überall bot man mir das Beste vom Besten, überall wurde ich begeistert empfangen und gefeiert. Nichts erschien gut genug für mich. Kein Wunder also, daß ich die schönste Erinnerung daran mit nach Hause genommen habe. Trotzdem wurde ich bei diesen Ehrenbezeigungen immer wieder an die Privilegien und Unterschiede erinnert, vor denen ich geflohen war, und sie machten mich um so betroffener, als ich an ihrer Stelle Gleichheit und Gerechtigkeit erwartet hatte. Nachdem es mir gelungen war, mich den offiziellen Persönlichkeiten zu entziehen und mit den einfachen Arbeitern zu sprechen, entdeckte ich, daß die meisten von ihnen in fürchterlicher Armut leben. Mir aber gab man Abend für Abend Bankette, deren Vorspeisen allein genügt hätten, den stärksten Appetit zu befriedigen. Auf diese hors d' ceuvres folgte regelmäßig ein Diner bzw. Souper von sechs Gängen, das volle vier Stunden in Anspruch nahm.
    Wir waren für die Dauer unserer Rußlandreise nicht eigentlich Gäste der Regierung, sondern der reichen „Gesellschaft sowjetischer Schriftsteller". Wenn ich daran denke, was sie für uns ausgegeben hat – wir waren mit den Reiseführern sechs Personen, und oft war die Zahl der Gastgeber genau so groß wie die der Gäste! Natürlich hatte die Vereinigung darauf gebaut, daß sich ihre Ausgaben besser rentieren würden, und ich nehme an, daß die Prawda mich später zum Teil nur deswegen so gehässig angegriffen hat, weil ich mich als eine so schlechte Kapitalsanlage erwies. Mir erschien es damals ganz natürlich, daß die Russen das Bedürfnis empfanden, einen Gast so gut wie möglich aufzunehmen und ihm von allem das Beste zu zeigen. Dennoch war ich überrascht, einen so klaftertiefen Unterschied zwischen dem „Besten" und dem allgemeinen Los der Masse feststellen zu müssen, zwischen den fast unbegrenzten Vorrechten auf der einen und der abgrundtiefen Armut auf der anderen Seite.
    Gerade weil ich die Sowjetunion und das, was sie geleistet hat, bewundere, ist meine Kritik doppelt scharf. Wir erwarteten etwas von dieser Nation und setzten berechtigte Hoffnungen auf sie. Mein eigenes Vertrauen zu Sowjetrußland war anfänglich uneingeschränkt. Darum hätte ich es ohne allzu großen Schmerz hingenommen, daß noch nicht alles, was ich in Rußland sah, vollkommen war. Todunglücklich aber machte mich die Erkenntnis, daß es dort alles gab, was mich daheim abgestoßen hatte: das ganze Unwesen der Klassenvorrechte, das ich für immer abgeschafft wähnte.
    Wer kann ermessen, was die Sowjetunion mir einst bedeutete? Sie war viel mehr für mich als nur das Land meiner Wahl, etwas anderes und höheres als Beispiel und Vorbild. Sie verkörperte in meinen Augen all das, wovon ich seit eh und je geträumt und worauf ich nicht mehr zu hoffen gewagt hatte. Sie war etwas, auf das mein ganzes Sehnen gerichtet war, ein Land, das – so bildete ich mir ein – Utopia zu werden versprach. Sowjetrußland aber befindet sich erst im Anfangsstadium seiner Entwicklung – daran muß man immer denken – und wir wohnen dem Werden der Zukunft bei. Dem Beobachter zeigen sich gute und schlechte Aspekte, ich möchte sagen: die besten und die schlechtesten; strahlendes Licht und schwärzestes Dunkel lösen einander in

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