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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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nach der Niederkunft; was da passiert ist, weiß ich nicht. Als der Fürst nach seiner Rückkehr aus Paris von der Geburt eines Kindes erfuhr, weigerte er sich zunächst, es als das seine anzuerkennen … Überhaupt wird diese Geschichte von allen Beteiligten geheimgehalten, sogar bis heute.«
    »Aber was für ein Mensch, dieser Fürst!« rief ich aufgebracht. »Was für eine Schändlichkeit gegen ein krankes junges Mädchen!«
    »Sie war damals noch nicht sehr krank … Außerdem hat sie selbst ihm die Tür gewiesen. Vielleicht hat er sich allzusehr beeilt, das Weite zu suchen.«
    »Sie rechtfertigen diesen Schurken?«
    »Nein, nur bezeichne ich ihn nicht als einen Schurken. Es steckt vieles in ihm, außer der direkten Schurkerei. Überhaupt ist das keine Seltenheit.«
    »Sagen Sie, Wassin, kennen Sie ihn näher? Mir liegt besonders viel an Ihrer Meinung, im Hinblick auf einen Umstand, der mich außerordentlich nahe angeht.«
    Aber darauf antwortete Wassin irgendwie nun allzu zurückhaltend. Den Fürsten kenne er, aber über die Umstände dieser Bekanntschaft schwieg er sich offenbar absichtlich aus. Ferner gab er zu bedenken, daß dieser wegen seines Charakters eine gewisse Nachsicht verdiene. »Er ist voll ehrenwerter Neigungen und empfänglich, verfügt aber weder über ein Urteilsvermögen noch über die Willenskraft, um seine Wünsche ausreichend lenken zu können. Er ist ein ungebildeter Mensch; sehr viele Ideen und Erscheinungen überfordern ihn, indessen jagt er ihnen nach. Er könnte sich zum Beispiel mit einer Behauptung aufdrängen wie: ›Ich bin Fürst und stamme von Rjurik ab; aber warum soll ich nicht Schustergeselle werden, wenn ich mein Brot verdienen muß und für eine andere Beschäftigung nicht tauge? Auf dem Werkstattschild wird es heißen: ‘Schuster Fürst Sowieso’, das wird sogar nobel aussehen.‹ Er könnte das sagen und es auch tun«, fügte Wassin hinzu, »allerdings keineswegs aus Überzeugung, sondern nur aus äußerst leichtfertiger Rezeptivität. Anschließend würde er unweigerlich vor Reue zerknirscht sein und dann jedesmal in das entgegengesetzte Extrem verfallen. Und so das ganze Leben. Heute haben viele Menschen eben dadurch Pech«, schloß Wassin, »daß sie in unsere Zeit hineingeboren sind.«
    Ich mußte darüber nachdenken.
    »Ist es wahr, daß er vorher den Dienst in seinem Regiment quittieren mußte?« erkundigte ich mich.
    »Ich weiß nicht, ob er es mußte, aber er verließ das Regiment tatsächlich wegen irgendwelcher Unregelmäßigkeiten. Ist Ihnen bekannt, daß er im Herbst vergangenen Jahres, unmittelbar, nachdem er den Dienst quittiert hatte, zwei oder drei Monate in Luga verbracht hat?«
    »Ich … ich weiß, daß Sie damals in Luga gewesen sind.«
    »Ja, eine Zeitlang auch ich. Der Fürst hat auch Lisaweta Makarowna gekannt.«
    »Wirklich? Das wußte ich nicht. Ich gebe zu, ich habe mich zu wenig mit meiner Schwester unterhalten … Aber ist es denn möglich, daß er im Hause meiner Mutter empfangen wurde?« rief ich.
    »O nein; er war ein entfernter Bekannter, über ein drittes Haus.«
    »Ach ja, was hat mir da meine Schwester über dieses Kind erzählt? War denn auch das Kind in Luga?«
    »Eine Zeitlang.«
    »Und wo ist es jetzt?«
    »Gewiß in Petersburg.«
    »Niemals im Leben werde ich glauben«, rief ich in äußerster Erregung, »daß meine Mutter auch nur irgendwie an der Geschichte mit dieser Lidija beteiligt war!«
    »In dieser Geschichte hat Werssilow, abgesehen von all diesen Intrigen, mit denen ich mich nicht befassen möchte, keine besonders anstößige Rolle gespielt«, bemerkte Wassin mit einem nachsichtigen Lächeln. Es fiel ihm immer schwerer, mit mir zu sprechen, aber er wollte es sich offenbar nicht anmerken lassen.
    »Niemals, niemals werde ich glauben, daß eine Frau«, rief ich abermals, »ihren Mann einer anderen Frau abtreten könnte, das werde ich niemals glauben! Ich schwöre, daß meine Mutter daran nicht beteiligt war!«
    »Aber anscheinend hat sie auch nicht widersprochen?«
    »Ich an ihrer Stelle hätte schon aus Stolz nicht widersprochen!«
    »Ich meinerseits weigere mich, in einem solchen Fall ein Urteil abzugeben«, sagte Wassin abschließend.
    Tatsächlich, es war möglich, daß Wassin bei all seiner Intelligenz sich mit Frauen nicht auskannte, so daß ein ganzer Zyklus von Ideen und Erscheinungen ihm unbekannt war. Ich verstummte. Wassin war vorübergehend in einer Aktiengesellschaft beschäftigt, und ich wußte, daß er

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