Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
interessierte, und fragte deshalb auch nicht nach Nastassja Jegorownas Neuigkeiten, sondern schwieg mich sogar völlig aus.
Es war kurz vor elf; ich hatte gerade vor, aufzustehen und in den Sessel vor dem Tisch umzuziehen, als sie hereinkam. Ich bin absichtlich im Bett liegen geblieben. Mama war oben sehr beschäftigt und ist zu ihrer Begrüßung nicht heruntergekommen, so daß wir uns plötzlich unter vier Augen fanden. Sie setzte sich mir gegenüber auf einen Stuhl an der Wand, lächelte und sprach kein Wort. Ich hatte schon mit einem Schweigespiel gerechnet; überhaupt hat mich ihr Erscheinen über alle Massen gereizt. Ich habe ihr nicht einmal zugehört und starrte ihr unentwegt in die Augen; aber auch sie starrte mich unentwegt an.
»Fühlen Sie sich jetzt ohne den Fürsten in der Wohnung nicht einsam?« fragte ich plötzlich, weil ich die Geduld verlor.
»Nein, wenn’s beliebt, in dieser Wohnung bin ich nicht mehr. Durch die Vermittlung von Anna Andrejewna beaufsichtige ich jetzt sein Kind.«
»Wessen Kind?«
»Andrej Petrowitschs«, flüsterte sie vertraulich, nachdem sie einen raschen Blick auf die Tür geworfen hatte.
»Aber dort ist doch Tatjana Pawlowna …«
»Tatjana Pawlowna und auch Anna Andrejewna, beide, und auch Lisaweta Makarowna und auch Ihre Frau Mutter … alle zusammen, alle, wenn’s beliebt. Alle nehmen daran teil. Tatjana Pawlowna und Anna Andrejewna haben sich jetzt in großer Freundschaft angefreundet.«
Eine Neuigkeit. Sie belebte sich sichtlich, während sie sprach. Ich beobachtete sie haßerfüllt.
»Sie sind viel lebhafter geworden seit dem letzten Mal, als Sie bei mir waren.«
»Ach ja, wenn’s beliebt.«
»Haben Sie nicht auch zugenommen?«
Sie warf mir eine eigentümlichen Blick zu:
»Ich habe sie sehr liebgewonnen, wenn’s beliebt.«
»Wen meinen Sie?«
»Wen sonst als Anna Andrejewna. Sehr, wenn’s beliebt. So eine vornehme junge Dame, und dabei so verständig …«
»So ist das. Wie geht es ihr denn jetzt?«
»Sie sind sehr ruhig, wenn’s beliebt, sehr ruhig.«
»Sie war auch schon immer ruhig.«
»Immer, wenn’s beliebt.«
»Wenn es Ihnen ums Klatschen geht«, schrie ich plötzlich, weil ich es nicht länger aushalten konnte, »sollen Sie wissen, daß mich das alles nichts mehr angeht, ich bin entschlossen, alle Brücken hinter mir abzubrechen, alle, alles, mir ist alles egal – ich gehe fort! …«
Ich verstummte, weil ich zu mir kam. Ich fand es auf einmal erniedrigend, sie gleichsam in meine neuen Ziele einzuweihen. Sie hörte mich an, ohne sich zu wundern oder ohne sich zu erregen, blieb jedoch völlig stumm. Plötzlich erhob sie sich, ging zur Tür und spähte ins Nebenzimmer. Nachdem sie sich überzeugt hatte, daß es leer war und wir nicht belauscht werden konnten, kehrte sie seelenruhig zurück und setzte sich auf ihren alten Platz.
»Das machen Sie ja perfekt!« Plötzlich mußte ich lachen.
»Werden Sie Ihre Wohnung bei dem Beamten behalten?« fragte sie plötzlich, wobei sie sich leicht zu mir niederbeugte und die Stimme senkte, als ginge es um die wichtigste Frage, die Frage, um derentwillen sie bei mir erschienen war.
»Die Wohnung? Weiß ich nicht. Vielleicht ziehe ich auch aus … Woher soll ich das wissen?«
»Aber Ihre Vermieter erwarten Sie sehr dringend. Er ist in großer Ungeduld und seine Gattin auch. Andrej Petrowitsch hat ihnen versichert, daß Sie ganz gewiß zurückkehren.«
»Und was geht das Sie an?«
»Anna Andrejewna wünschen es ebenfalls zu erfahren; sie waren sehr zufrieden, als sie hörten, daß Sie dort bleiben.«
»Und woher will sie das so genau wissen, daß ich in dieser Wohnung bleiben werde?«
Ich wollte schon hinzufügen: “Und wozu muß sie das wissen?” Aber mein Stolz verbot mir, so zu fragen.
»Und außerdem haben auch Herr Lambert ihnen dasselbe bestätigt.«
»Wi-i-ie?«
»Herr Lambert, wenn’s beliebt. Sie haben auch Andrej Petrowitsch immer wieder gesagt, daß Sie bleiben werden, und auch Anna Andrejewna davon überzeugt.«
Es war, als schwankte der Boden unter meinen Füßen. Ein Mirakel! Lambert ist also bereits mit Werssilow bekannt, Lambert ist also zu Werssilow vorgedrungen – Lambert und Anna Andrejewna –, er ist also auch zu ihr vorgedrungen! Ich glühte förmlich, aber ich schwieg. Eine furchtbare Woge von Stolz überflutete meine Seele, von Stolz oder von etwas, das ich noch nicht kannte. Aber im selben Moment sagte ich mir selbst: “Wenn ich auch nur ein einziges Wort
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