Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
schon als Zehnjähriger gekannt und solltest wissen, ob ich eine Müßiggängerin bin. Und an meiner Galle doktorst du schon seit einem Jahr herum und hast mich immer noch nicht kuriert. Das ist deine Schande. So, jetzt habt ihr euch genug über mich lustig gemacht; hab Dank, Andrej Petrowitsch, daß du dir die Mühe gemacht hast und vor Gericht erschienen bist. Und nun, wie geht es dir, Makaruschka? Ich wollte dir einen Krankenbesuch machen, nicht dem da.« (Sie deutete auf mich, klopfte mir aber zugleich freundschaftlich auf die Schulter. Ich hatte sie noch nie in einer solch übermütigen Stimmung gesehen.)
»Also, was gibt’s?« fragte sie abschließend und wandte sich plötzlich mit sorgenvoll gerunzelten Brauen an den Arzt.
»Er weigert sich, das Bett zu hüten, und strengt sich so, beim Sitzen, viel zu sehr an.«
»Aber ich will doch nur ein Weilchen so sitzen, unter Menschen«, murmelte Makar Iwanowitsch flehentlich, wie ein kleines Kind.
»Das haben wir gern, das haben wir sehr gern; wir lieben es zu plaudern, wenn sich Menschen um uns versammeln; ich kenne Makaruschka«, sagte Tatjana Pawlowna.
»Und hurtig bist du, viel zu hurtig«, fuhr der alte Mann lächelnd fort, zum Doktor gewandt, »und läßt einen gar nicht zu Worte kommen; warte doch mal, laß mich auch was sagen: Ich werd mich schon hinlegen, mein Guter, hast du schon gehört, wie es bei uns heißt: Legst du dich einmal hin, dann kann es so kommen, daß du nicht wieder aufstehst, das ist es ja, Freund, was mir im Rücken steht.«
»Ja, das habe ich mir gedacht, das ist Volksaberglaube: ›Lege ich mich einmal hin, so könnte es sein, daß ich nicht wieder aufstehe.‹ So etwas befürchtet das Volk sehr oft, und deshalb ziehen die Leute es vor, mit einer Krankheit herumzulaufen, anstatt sich ins Krankenhaus zu begeben. Und Sie, Makar Iwanowitsch, Sie hat einfach die Sehnsucht gepackt, die Sehnsucht nach der freien Natur und nach der Ferne – darin besteht Ihre ganze Krankheit; Sie haben verlernt, länger an einem Ort zu leben. Sie sind doch ein sogenannter Pilger? Nun, in unserm Volk äußert sich das Vagabundieren fast als Leidenschaft. Das habe ich öfters unter dem Volk beobachtet. Unser Volk – ist vorwiegend ein Volk der Vagabunden.«
»Dann ist Makar Iwanowitsch deiner Ansicht nach ein Vagabund?« fiel Tatjana Pawlowna sofort ein.
»Oh, so habe ich das nicht gemeint; ich habe dieses Wort in seiner allgemeinen Bedeutung gebraucht. Schön, meinetwegen ein religiöser Vagabund, schön, ein gläubiger, aber er bleibt ein Vagabund. Im ehrwürdigen Sinn, im Guten, aber ein Vagabund … Ich meine vom medizinischen Standpunkt aus …«
»Ich versichere Ihnen«, wandte ich mich plötzlich an den Arzt, »daß wir beide eher Vagabunden sind, so wie alle, die hier versammelt sind, aber nicht dieser alte Mann, von dem wir beide noch lernen müssen, weil er etwas Festes im Leben hat, während wir, so viele wir auch sind, im Leben nichts Festes haben … Sie werden das allerdings nicht begreifen.«
Ich hatte offenbar sehr schroff gesprochen, aber ich war ja auch mit dieser Laune gekommen. Ich weiß eigentlich nicht, warum ich sitzen blieb, ich war wie außer mir.
»Was hast du?« Tatjana Pawlowna warf mir einen argwöhnischen Blick zu. »Wie findest du den, Makar Iwanowitsch?« Dabei zeigte sie mit dem Finger auf mich.
»Heller Kopf, Gott segne ihn«, sagte der alte Mann mit ernster Miene; aber bei den Worten »heller Kopf« lachten fast alle. Ich beherrschte mich mit einiger Mühe; am lautesten von allen lachte der Arzt. Es war ziemlich schlimm, daß ich damals über ihre vorherige Absprache nicht unterrichtet war. Werssilow, der Arzt und Tatjana Pawlowna waren bereits vor drei Tagen übereingekommen, Mama unter allen Umständen von ihren bösen Ahnungen und Befürchtungen um Makar Iwanowitsch abzulenken, um dessen Gesundheit es viel hoffnungsloser stand, als ich damals vermutete. Deshalb machten alle ihre Witze und bemühten sich zu lachen. Nur der Arzt war dumm und verstand natürlich keine Witze: Das hatte seine Folgen. Hätte ich von ihrer Absprache gewußt, dann hätte ich das, was geschah, nicht angerichtet. Lisa hatte ebenfalls nichts gewußt.
Ich saß da und hörte mit halbem Ohr zu; sie redeten und lachten, aber ich hatte Nastassja Jegorowna und ihre Nachrichten im Kopf und war außerstande, sie loszuwerden; ich hatte immer vor Augen, wie sie dasitzt und sich umschaut, vorsichtig aufsteht und in das andere Zimmer späht.
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