Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
sich auf dem Weg zu Dergatschow befinde.
    »Dann laß uns zu Dergatschow gehen, warum sträubst du dich eigentlich dagegen? Warum kneifst du?«
    Tatsächlich, Kraft könnte bei Dergatschow ewig sitzen bleiben, und wo sollte ich dann solange auf ihn warten? Vor einem Besuch bei Dergatschow hatte ich zwar nicht gekniffen, mich aber geweigert, dorthin zu gehen, ungeachtet dessen, daß Jefim mich schon zum dritten Mal mitnehmen wollte und bei diesem meinem »Kneifen« stets ekelhaft gegrinst hatte. Ich war nicht ängstlich, das möchte ich im voraus betonen. Und wenn ich etwas fürchtete, dann war es etwas ganz anderes. Aber diesmal war ich bereit mitzugehen, zumal es ebenfalls nur ein paar Schritte waren. Unterwegs fragte ich Jefim, ob er immer noch die Absicht habe, nach Amerika auszuwandern .
    »Vielleicht warte ich noch ein Weilchen damit«, antwortete er mit einem flüchtigen Lächeln.
    Ich mochte ihn nicht besonders gern, eigentlich überhaupt nicht. Er hatte auffallend weißblondes Haar, ein volles, käseweißes Gesicht, fast ungehörig weiß, fast wie ein kleines Kind, war großgewachsen, sogar größer als ich, machte aber den Eindruck eines höchstens Siebzehnjährigen. Eine Unterhaltung mit ihm war unmöglich.
    »Was ist denn dort los? Immer ein Haufen Menschen?« erkundigte ich mich ordnungshalber.
    »Aber warum fürchtest du dich eigentlich?« Er lachte schon wieder.
    »Scher dich zum Teufel!« Ich ärgerte mich.
    »Überhaupt kein Haufen. Nur Bekannte, und die gehören alle dazu. Du kannst ganz ruhig sein.«
    »Aber was zum Teufel geht es mich an, ob sie dazugehören oder nicht? Gehöre ich denn etwa dazu? Warum sollten sie mir vertrauen?«
    »Ich habe dich mitgebracht, das reicht. Sie haben sogar schon etwas von dir gehört. Auch Kraft kann etwas über dich sagen.«
    »Hör mal, wird Wassin auch dasein?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Wenn er da ist, mußt du mich gleich, wenn wir reinkommen, anstoßen und mir Wassin zeigen; gleich, wenn wir reinkommen, hörst du?«
    Von Wassin hatte ich schon ziemlich viel gehört und mich schon lange für ihn interessiert.
    Dergatschow bewohnte als einziger Mieter ein kleines Hinterhaus, das zu dem großen Holzhaus einer Kaufmannsfrau gehörte. Das Haus hatte nur drei Wohnstuben. An allen vier Fenstern waren die Rouleaus heruntergelassen. Er war Techniker und in Petersburg fest angestellt; ich hatte beiläufig gehört, daß ihm eine sehr vorteilhafte Stellung in der Provinz angeboten worden war, die er bereits angenommen habe.
    Kaum hatten wir den winzigen Flur betreten, als wir schon Stimmen hörten; es schien hoch herzugehen, und jemand rief: » Quae medicamenta non sanant – ferrum sanat, quae ferrum non sanat – ignis sanat! «
    Ich fühlte mich tatsächlich einigermaßen beunruhigt. Freilich, ich war größere Gesellschaften nicht gewohnt, welcher Art auch immer. Im Gymnasium stand ich mit meinen Klassenkameraden zwar auf du und du, aber befreundet war ich mit fast keinem; ich hatte mir einen Winkel eingerichtet und mich in diesen Winkel zurückgezogen. Aber das war es nicht, was mich im Augenblick beunruhigte. Für alle Fälle hatte ich mir selbst geschworen, an keinem Disput teilzunehmen und nur das Allernotwendigste zu sagen, damit niemand sich eine Meinung über mich bilden konnte – vor allem aber mich auf kein Streitgespräch einzulassen.
    In der Stube, die viel zu klein war, hielten sich sieben Personen auf, sogar zehn, wenn man die Damen mitrechnete. Dergatschow war fünfundzwanzig und verheiratet. Seine Frau hatte eine Schwester und noch eine weitere Verwandte; diese beiden lebten gleichfalls bei Dergatschows. Die Stube, bescheiden, doch ausreichend möbliert, war sogar gepflegt. An einer Wand hing ein Porträt, allerdings eine ganz billige Lithographie, und in der Ecke eine Ikone ohne Oklad, aber mit einem brennenden Ewigen Licht. Dergatschow kam auf mich zu, drückte mir die Hand und forderte mich auf, Platz zu nehmen.
    »Nehmen Sie Platz. Wir sind hier ganz unter uns.«
    »Bitte schön«, fügte sogleich eine recht hübsche, sehr bescheiden gekleidete, ganz junge Frau hinzu, die nach einer flüchtigen Verbeugung das Zimmer verließ. Das war Dergatschows Frau, die sich an dem Gespräch beteiligt hatte und nun hinausgehen mußte, um ihr Kind zu stillen. Die beiden anderen Damen blieben in der Stube – die eine sehr zierlich, von etwa zwanzig Jahren, in schwarzem Kleidchen und auch nicht gerade häßlich, die andere etwa dreißig, hager und mit

Weitere Kostenlose Bücher