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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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möglichst kurz fassen. Mein Entschluß war unabänderlich, und ich machte mich sofort auf den Weg zu Tatjana Pawlowna. Wehe! Ein großes Unglück hätte vermieden werden können, wenn ich sie damals zu Hause angetroffen hätte; aber ausgerechnet an diesem Tag verfolgte mich ein besonderes Mißgeschick. Ich war natürlich auch bei Mama, erstens, um die arme Mama zu besuchen, und zweitens in der sicheren Hoffnung, Tatjana Pawlowna dort anzutreffen; aber sie war auch nicht dort; sie hatte sich gerade verabschiedet, Mama lag krank zu Bett und wurde nur von Lisa gehütet. Lisa bat mich, nicht zu Mama hineinzugehen, um sie nicht zu wecken: »Die ganze Nacht hat sie keinen Schlaf gefunden und sich gequält; Gott sei Dank, jetzt schläft sie.« Ich umarmte Lisa und sagte ihr nur in zwei Worten, daß ich einen gewaltigen und schicksalhaften Entschluß gefaßt hätte und ihn sofort ausführen würde. Sie nahm es ohne ein Zeichen besonderer Überraschung auf, wie das Alltäglichste von der Welt. Oh, sie alle waren damals meine pausenlosen »letzten Entschlüsse« und die darauffolgenden kleinmütigen Rückzüge gewohnt. Aber jetzt – jetzt war es etwas ganz anderes! Ich suchte das Gasthaus am Kanal auf und blieb dort eine Weile sitzen, um Zeit verstreichen zu lassen und Tatjana Pawlowna auf alle Fälle anzutreffen. Übrigens sollte ich jetzt erklären, wozu ich diese Frau plötzlich so dringend brauchte. Es ging darum, daß ich sie sofort zu Katerina Nikolajewna schicken wollte, um diese in ihre Wohnung zu bitten, wo ich vor Tatjana Pawlownas Augen das Dokument aushändigen und alles einmal für immer erklären wollte … Kurz, ich wollte nur meine Pflicht und Schuldigkeit tun; ich wollte mich einmal für immer rechtfertigen. Wenn dieser Punkt erledigt wäre, wollte ich unbedingt, und zwar eindringlich, einige Worte zu Anna Andrejewnas Gunsten vorbringen, um dann, wenn möglich, mit Katerina Nikolajewna und Tatjana Pawlowna (als Zeugin) in einer Droschke zu mir zu fahren, das heißt zum Fürsten, dort die verfeindeten Frauen versöhnen, den Fürsten zu neuem Leben erwecken und … und … wenigstens hier, in diesem kleinen Kreis, heute noch, alle glücklich machen, so daß nur Werssilow und Mama übrigblieben. An dem Erfolg konnte ich nicht zweifeln: Katerina Nikolajewna würde mir aus Dankbarkeit für die Rückgabe des Briefes, für den ich von ihr nichts verlangen würde, unmöglich eine solche Bitte abschlagen. Wehe! Ich wiegte mich immer noch in der Vorstellung, daß ich dieses Dokument besäße. Oh, in was für einer dummen und unwürdigen Lage befand ich mich, ohne es selbst auch nur zu ahnen!
    Die Dämmerung war bereits stark fortgeschritten, und es war bald vier, als ich abermals bei Tatjana Pawlowna läutete. Marja antwortete grob, sie sei »nicht dagewesen«. Ich erinnere mich sehr gut an Marjas eigentümlich lauernden Blick; aber damals wollte mir dazu nichts Besonderes einfallen. Im Gegenteil, ein anderer Gedanke stach mich plötzlich: Als ich verärgert und ein wenig niedergeschlagen die Treppe von Tatjana Pawlownas Wohnung wieder hinunterstieg, erinnerte ich mich an den armen Fürsten, der vorhin die Arme nach mir ausgestreckt hatte – und ich machte mir plötzlich bittere Vorwürfe, daß ich ihn verlassen hätte, vielleicht sogar aus persönlichem Verdruß. Beunruhigt stellte ich mir nun vor, was in meiner Abwesenheit bei ihnen Schlimmes hätte geschehen können, und begab mich eilends nach Hause. Zu Hause war jedoch inzwischen nur folgendes geschehen.
    Anna Andrejewna, die vorhin mein Zimmer zornig verlassen hatte, hatte ihren Kampfesmut noch nicht verloren. Es muß erwähnt werden, daß sie seit dem frühen Morgen wiederholt nach Lambert geschickt hatte, später noch einmal, und da Lambert immer noch nicht zu Hause aufgetaucht war, schließlich ihren Bruder ausgesandt hatte, ihn zu suchen. Die Arme, bei mir auf Widerstand gestoßen, setzte ihre letzte Hoffnung auf Lambert und seinen Einfluß auf mich. Sie erwartete Lambert voll Ungeduld und wunderte sich nur, daß er, der bis heute ständig ihre Gegenwart gesucht und ihr unablässig nach dem Mund geredet hatte, plötzlich verschwunden und für sie völlig unerreichbar war. O weh! Sie konnte unmöglich auf den Gedanken gekommen sein, daß Lambert, nun im Besitz des Dokuments, bereits ganz andere Entschlüsse gefaßt hatte und selbstverständlich sich bei ihr nicht mehr sehen ließ und sogar absichtlich vor ihr versteckte.
    Unter diesen Umständen, voller

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